Gezieltes Baumsterben für Wülfrath und den Specht
Im Bochumer Bruch werden Bäume über Jahre im Stehen abgetötet, um die Stromleitung zu schützen.
Wülfrath. Mitten im Bochumer Bruch, abseits der Wanderwege, heult eine Motorsäge auf. Ihre Kette frisst sich durch die Rinde eines Ahornbaumes. Üblicherweise eine Szene, die nur auf eine Weise endet: Irgendwann gibt der Baum sein letztes Knacken von sich und schlägt Sekunden später mit seiner Krone auf dem Boden auf. Doch heute ist alles anders. Johannes Sacks (47) überwacht die Arbeiten und achtet darauf, dass der Baum lediglich mit einer kreisrunden Kerbe versehen wird. Der Ahorn lebt heute weiter — und stirbt in ein paar Jahren.
Sacks ist Trassenmanager und arbeitet für den Netzbetreiber Westnetz. Seine Aufgabe ist es, zu gewährleisten, dass die Hochspannungsleitungen nicht durch Bäume geschädigt werden. Auch nicht bei Sturm. „Die Bäume dürfen dem Leiterseil nicht näher als drei Meter kommen. Damit das gelingt, müssen wir frühzeitig handeln“, sagt der 47-Jährige.
In vielen Fällen weichen die Bäume dann einfach den menschlichen Nöten. Würden die Kabel, die durch den Bochumer Bruch führen, durch einen umfallenden Baum beschädigt werden, wäre Wülfraths Stromversorgung unterbrochen.
Doch einige Bäume bekommen von Westnetz eine Art Schonfrist. „Ringeln“ heißt das Verfahren, das Trassenmanager Sacks in Wülfrath anwendet. Inzwischen gibt es rund zwölf Bäume, denen bereits ein mehrere Zentimeter breiter Streifen in das Holz geschnitten wurde. „Dadurch wird der Saftstrom unterbrochen und der Baum stirbt ab“, sagt Sacks. Dabei handelt es sich jedoch um ein langsames Sterben, das mehrere Jahre dauern kann.
Der Vorteil: Es bleibt ein Baum stehen, der nicht in die Leitung wächst und gleichzeitig noch das ideale Zuhause für einige Tiere ist, denn irgendwann platzt an dem sterbenden Baum die Rinde auf und es bilden sich Löcher. „Als Erstes kommt in der Regel der Specht“, weiß Sacks, der sich selbst auch als „Biotop-Manager“ bezeichnet. Der Specht ist ein Höhlenbrüter und freut sich über das lauschige Plätzchen im toten Baum.
Ringeln ist eine alte Methode, die heute immer schwerer umsetzbar ist, da die abgestorbenen Bäume irgendwann umfallen. „Das geht nicht in besiedelten Gebieten.“ Doch mitten im einsamen Teil des Bochumer Bruchs ist das kein Problem. Wenn der Ahorn irgendwann umkippt, hört das wahrscheinlich nur noch einer: der Specht.