Kunst auf dem iPhone: Stuhl-Leben in Pixeln
Seit zehn Jahren zeichnet der Nevigeser Grafiker Norbert Molitor Stühle. Papier, Stift oder Tusche braucht er dazu seit kurzem nicht mehr.
Neviges. „Ich weiß keinen schöneren, interessanteren Gegenstand als den Stuhl“, sagt Norbert Molitor. Seit etwa 2002 zeichnet er Stühle aller Art. Der Alltags- und Gebrauchsgegenstand hat es ihm angetan. „Jeder kennt ihn. Und ich kenne jeden Stuhl.“ Den, der in Griechenland vor den Häusern steht, den einfachen Küchenstuhl aus Holz („mein Lieblingsstuhl“), den geflochtenen Korbstuhl, das designte Modell aus dem Museum, den ausladenden Sessel, die Liege. Sie alle tauchen in seinen Zeichnungen auf.
Norbert Molitor arbeitet Charakter und Eigenheiten der Sitzmöbel heraus, lässt sie durch den Weltraum schweben oder versieht sie mit einem vorgelagerten Schatten. Es gibt den „Winkenden Stuhl“, den, auf den eine Kreissäge zufliegt, einen „Indianerstuhl“ mit Federschmuck oder den „Kleinen Stuhl“, der wie der kleine Prinz von Saint-Exupéry ganz allein auf einem fremden Planeten steht.
Mag er nicht vielleicht auch Pflanzen oder andere Motive? „Doch“, sagt er und zeigt auf eine kleine grüne Rundung, die in eine Zeichnung hineinragt und als Blatt einer Zimmerpflanze gedeutet werden kann. Manches Stuhl-Leben ist eine ironische Anspielung auf ein bekanntes künstlerisches Werk, andere arbeiten mit dem Absurden („Liege mit Wurstauflage“).
Rund 2000 Stuhl-Zeichnungen werden es inzwischen wohl sein, schätzt Molitor. Im Frühjahr 2008 zeigte er eine Auswahl in der Vorburg von Schloss Hardenberg. Dabei überraschte er die Besucher auch mit seinen „Fünf-Minuten-Stühlen“, die er schnell mit Tusche auf Papier warf.
Von Tusche und Zeichenpapier hat sich der Nevigeser inzwischen losgesagt. Stattdessen nutzt er den Handybildschirm, ein Zeichen-App und einen Digitalstift: Seit einigen Wochen arbeitet der Grafiker mit dem iPhone. „Der Nachteil ist: Man kann nicht so präzise zeichnen. Dafür aber korrigieren.“ Der Vorteil: „Ich kann überall zeichnen. Im Straßencafé, in der S-Bahn, nachts im Bett.“ Grundsätzlich unterscheide sich das Verfahren nicht vom Arbeiten auf Papier, sagt Molitor. Vielmehr könne er jetzt auch in Mischtechniken arbeiten, Gemälde statt reiner Zeichnungen anfertigen.
Die Ergebnisse, die ihm gefallen, stellt Norbert Molitor ins Internet. Unsigniert. „Die kann sich auch jeder runterziehen und ausdrucken. Ich habe kein Interesse daran, sie zu verkaufen.“ Schon früher habe er seine Bilder entweder behalten oder verschenkt. „Sie sind mir alle gleich wert. Wie soll ich sie da bewerten?“
Der Nevigeser mag die digitale Technik, schätzt die Möglichkeiten des Internets: „Kunst wird dadurch zugänglicher. Früher hat man gesagt: Die Leute werden erst berühmt, wenn sie tot sind. Heute ist das anders. Man stellt Sachen ins Netz und sie können sich millionenfach verbreiten“, sagt er. Dennoch denkt er an eine Ausstellung der iPhone-Stühle, vielleicht im Herbst oder Frühjahr, in Form von Ausdrucken oder auch Bildschirmdarstellungen. Außerdem hat er sich ein Limit gesetzt: „Bis 2015 mache ich das.“
Und was bedeutet die Schlängellinie, die sich als wiederkehrendes Element in den jetzigen Zeichnungen findet? „Ich habe irgendwann mal was durchgestrichen. Und die Linie gefiel mir“, sagt Molitor.
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