Lintorf: Sangeslust und Sängerfrust
Der MGV „Eintracht“ pflegt seit 106 Jahren die Liebe zum Gesang – mit ungewisser Zukunft.
Lintorf. "Unsere Zeit läuft ab, da machen wir uns gar nichts vor." Wenn Johannes Netz an die Zukunft des Männergesangvereins "Eintracht 02" denkt, befallen ihn Wehmut und Traurigkeit. 20 Jahre lang hat der Ehrenvorsitzende die Geschicke des Vereins gelenkt, jetzt sieht er sein Lebenswerk dahinsiechen: Er weiß, dass es für diese urdeutsche Institution kaum noch eine Zukunft geben wird. "Wie lange machen wir das noch?", fragen sich inzwischen etliche Chormitglieder.
Seit 106 Jahren existiert der Männergesangverein, hat Höhen und Tiefen erlebt, wurde in der Nazidiktatur verboten, hat allen Moden getrotzt und schaut jetzt dennoch dem schleichenden Niedergang entgegen. Die Altersstruktur ist das Hauptproblem. Die 26 sangesfreudigen Männer bringen es auf einen Altersdurchschnitt von 73Jahren.
Netz ist 75, "ich fühle mich aber wie 50", scherzt er. Das nimmt man dem umtriebigen Ex-Vorsitzenden durchaus ab. Er weiß aber auch, dass es im Chor 80-Jährige gibt, und dass in diesem Alter nicht mehr Jahre voraus geplant werden kann. "Erst vor kurzem haben wir einen guten Kameraden zu Grabe getragen."
Seit zwei Jahren hat es bei der "Eintracht" keinen Zugang mehr gegeben, dafür sind seit dem vergangenen Jahr sechs Sänger aus Altersgründen ausgeschieden oder verstorben. Auf junge Stimmen im Chor wagt Netz gar nicht mehr zu hoffen. "Wir wären schon froh, wenn wenigstens 60-Jährige kommen würden und nicht hinterm Ofen hocken bleiben", sagt er fast ein bisschen trotzig.
Hin und wieder sei mal einer bei der wöchentlichen Probe im alten Lintorfer Rathaus vorbei gekommen - bis zur Pause. Am Repertoire könne es nicht liegen, sucht Netz nach einer Erklärung für das mangelnde Interesse. "Wir singen Volkslieder, Werke aus Operetten und Opern, aber auch Spirituals."
Vielleicht schreckt die Disziplin, die von den Sängern gefordert wird? "Ohne Disziplin geht es nicht." Regelmäßige Proben mit Stimmbildung seien unverzichtbar, wenn man hohe Qualität bieten möchte. Und auf hohem Niveau singen die Männer von "Eintracht 02". Schließlich genießen die Konzerte einen guten Ruf.
Früher standen noch mehrtägige Konzertreisen auf dem Jahresprogramm: Toskana, Salzburg, Budapest, Dresden oder Finnland. "Diese Konzerte - etwa im Wiener Stephansdom oder in der Felsenkirche in Helsinki - wird keiner vergessen, der dabei war", sagt Netz. Natürlich war es anstrengend, in acht Tagen vier oder fünf Auftritte zu bestreiten. Inzwischen muss man auch kürzer treten - des Alters wegen.
Als Netz Mitte der 50er-Jahre zum MGV gekommen war, hatte der Chor 44 Sänger im Alter zwischen 20 und 70 Jahren. Wenn da mal einer ausfiel, war es nicht so schlimm. Wenn heute in den doppelt besetzten Tenören oder Bässen Stimmen ausfallen, kann das schnell das Aus bedeuten.
Der Ehrenvorsitzende weiß, dass die Glanzzeiten vorbei sind: In den 70er-Jahren gewann man bei einem Wettstreit den ersten Preis, ließ 27 Chöre hinter sich. Zum 90-jährigen Bestehen sang man mit den Düsseldorfer Symphonikern in der fast ausverkauften Stadthalle - wehmütig blättert Netz in seinem Ordner mit Fotos und Zeitungsausschnitten.
Da tröstet es wenig, dass benachbarte Männergesangsvereine wie "Rheingold Kalkum" oder "Eintracht Tiefenbroich" gemeinsam auftreten müssen, um genügend Stimmen zusammen zu bekommen. "Vielleicht findet ja doch noch jemand zu uns."