Virtuelle Monster bedrohen die Wirbelsäule

Der „Handynacken“ wird auch immer öfter am Klinikum Niederburg diagnostiziert.

Foto: Helios / Grafik: Nintendo

Velbert. Köpfe, die über Smartphones oder Tablets gebeugt sind und Daumen, die über Displays galoppieren — in der Bahn, auf der Straße, im Wartezimmer. Die Handy-App „Pokémon Go“ macht die Wirklichkeit zum Spielfeld und das Jagdfieber grassiert. Immer mehr junge Leute wollen die kleinen Monster, die sich in den unmöglichsten Winkeln verstecken können, virtuell mit Bällen abwerfen. Da sollte es eigentlich nicht erstaunen, dass diese unnatürliche Haltung auch am menschlichen Körper Spuren hinterlässt. Mediziner des Klinikums Niederberg schlagen jetzt Alarm. Sie warnen vor der sehr realen Gefahr für von Haltungsschäden.

Die Ärzte bekommen es an der Robert-Koch-Straße immer häufiger mit den digitalen Nachwehen zu tun, allen voran dem „Handynacken“. Dank immer rasanterer Datenautobahnen, Flatrates und natürlich Pokémon Go verbringen viele Velberter täglich unzählige Minuten am Smartphone, Tablet oder E-Book. Privat wie beruflich sind die Geräte im Dauereinsatz. Die Benutzer nehmen allerdings oft eine völlig unnatürliche Haltung ein: Sie lassen den Kopf herunterhängen und die Schultern sacken nach vorne. Als Folge drohen nicht nur Muskelverspannungen sowie Nacken- und Schulterschmerzen, sondern auch dauerhafte Haltungsschäden.

Seit fast zwei Jahren gibt es unter Orthopäden und Physiotherapeuten die Diagnose: „Handynacken“. Was wie ein Scherz klingt, ist die medizinische Konsequenz der intensiven und mehrstündigen Nutzung von Smartphone, Tablet und Co, die von dem New Yorker Chirurgen Kenneth K. Hansraj in Bezug auf die Belastung der Halswirbelsäule untersucht wurde. Seine Erkenntnis: Beim Blick auf das Display eines Telefons im Stand, wirkt eine Kraft von mitunter 27 Kilogramm auf die Wirbelsäule. „Wird diese unnatürliche Körperhaltung über einen längeren Zeitraum eingenommen, besteht die Gefahr eines sekundären Haltungsschadens im Bereich der gesamten Wirbelsäule“, sagt Verena Wolnowski, Leiterin der Physiotherapie am Helios Klinikum Niederberg. Das kann dazu führen, dass sich die Muskeln dauerhaft verhärten und Betroffene ständig eine Art Schonhaltung einnehmen. „Wenn möglich, sollte man zum Beispiel lieber an einem Schreibtisch mit dem Laptop oder Handy hantieren und sich nicht dazu auf die Couch lümmeln“, rät Wolnowski. „Der Bildschirm sollte sich dabei möglichst auf Augenhöhe oder knapp darunter befinden, auch wenn es beim Handy etwas seltsam anmutet.“

Zusätzlicher Tipp: Zwischendurch immer wieder die Haltung wechseln und nie zu lange in einer Position verharren. Auch sollte man öfter mal in die Ferne schauen, um Augen- und Nackenmuskulatur zu trainieren oder Ausgleichsübungen einschieben, das heißt, einfach mal nach hinten neigen, sich strecken, die Bauchmuskulatur in die Länge ziehen, die Arme mit in die Höhe nehmen.

Die massive Neigung der Halswirbelsäule nach vorn kann auch zu einem Rundrücken führen, im Volksmund auch „Buckel“ genannt. Dies wiederum führt zu einer abgeflachten Lendenwirbelsäule, die im Idealfall eine leichte Vorwärtskrümmung besitzen sollte.

Um Haltungsschäden vorzubeugen und der einseitigen Belastung entgegenzuwirken, empfiehlt die Physiotherapeutin Sport oder Bewegung im Alltag. „Wichtig ist es, der einseitigen Belastung, die der Blick auf das Handy darstellt, entgegenzuwirken und so den Bewegungsapparat zu dehnen und zu kräftigen“, erklärt die Spezialistin. „Grundsätzlich empfehle ich allen jungen und älteren Menschen, die täglich sitzenden oder einseitigen Bewegungen ausgesetzt sind, ein Übungsprogramm für Muskelkräftigung und Muskelentspannung, aber vor allem Ausdauer und Spaß an der Sache“, sagt Wolnowski. HBA