War es Angriff oder Notwehr?
Wegen versuchten Totschlags muss sich ein 24-jähriger Wülfrather vor Gericht verantworten. Er soll einen 27-Jährigen mit einem Messerstich vorsätzlich verletzt haben.
Wülfrath/Wuppertal. Auf der Anklagebank der 5. Großen Strafkammer des Wuppertaler Landgerichts sitzt seit Montag ein 24-jähriger Wülfrather. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm versuchten Totschlag vor. Die Kammer unter Vorsitz von Richter Robert Bertling hat offenbar einen schwierigen Fall vor der Brust:
Hat der 24-Jährige am 17. April 2011 einen 27-jährigen Bekannten vorsätzlich mit einem Messerstich in die Brust so schwer verletzt, dass dieser nur durch eine Notoperation gerettet werden konnte? Das Problem für das Gericht: Beim ersten von geplanten sechs Verhandlungstagen sagten der Angeklagte und das Opfer völlig unterschiedlich aus. Beide sind die einzigen direkten Zeugen der Tat.
Der Angeklagte ließ am Montag seinen Anwalt eine Erklärung verlesen, in der er von Notwehr sprach. An besagtem Sonntagabend sei er, nachdem er im Stadtpark Alkohol getrunken habe, gegen 22.30 Uhr zur Wohnung eines gemeinsamen Bekannten an der Mettmanner Straße gegangen. Dort habe sich der 27-Jährige aufgehalten, der als Obdachloser dort untergekommen war.
Dann sei das Treffen plötzlich eskaliert. „Wir haben uns um Geld gestritten, das er mir schuldete. Dann hat er ein Messer genommen und nach mir gestochen. Ich musste ihn abwehren und habe ihn deshalb mit einem anderen Messer, das auf dem Tisch lag, gestochen“, sagte der 24-Jährige aus.
Danach sei er zunächst in Panik geflüchtet, schließlich aber zurückgekehrt, um zu helfen. Der Verletzte habe die Hilfe abgewehrt, so dass er das Haus erneut verlassen habe. Die Polizei hatte den Wülfrather noch am selben Abend festgenommen. „Ich bin heute noch geschockt, was passiert ist. Ich bin nicht mit der Absicht in die Wohnung gegangen, ihn umzubringen.“
Das Opfer schilderte den Tathergang völlig anders. Der 24-Jährige sei für ihn „wie ein Bruder“ gewesen, er habe niemals mit einem Angriff gerechnet. Daher sei es für ihn umso überraschender gewesen, was passiert sei. „Unvermittelt“ habe der Angeklagte ihm mit der Faust auf die Brust geschlagen, als sie nebeneinander auf dem Sofa saßen.
Erst danach habe er gemerkt, dass er mit einem Messer angegriffen wurde. Nach der Attacke habe der 24-Jährige ihn angeschrien und beschuldigt, dass er dessen jüngerem Bruder Heroin verkauft habe. Auch habe er von einer Entführung seines Bruders gesprochen, deretwegen er die Tat begehen müsse.
Auf Nachfrage von Richter Bertling verneinte das Opfer, dass die ganze Sache mit Drogengeschäften zu tun hatte. „Wir hatten weder Streit um Drogen noch um Schulden. Ich kann es mir bis heute nicht erklären“, sagte der Wülfrather.
Wird der 24-Jährige verurteilt, droht ihm eine Freiheitsstrafe von bis zu 15 Jahren. Der Prozess wird am Donnerstag fortgesetzt.