Wülfrath „Wir müssen klären, wie wir uns finanzpolitisch aufstellen“

Wülfrath · Rainer Ritsche ist 100 Tage im Amt – er verrät , was ihn beschäftigt, bewegt und geärgert hat.

 Bürgermeister Rainer Ritsche will das Technische Dezernat personell aufstocken.

Bürgermeister Rainer Ritsche will das Technische Dezernat personell aufstocken.

Foto: Tanja Bamme

. Am 27. September vergangenen Jahres hat Rainer Ritsche die Stichwahl um das Amt des Bürgermeisters mit 67 Prozent der Stimmen klar vor Andreas Seidler (CDU) gewonnen, der 33 Prozent der Stimmen auf sich vereinen konnte. Am kommenden Montag ist Rainer Ritsche 100 Tage im Amt. Wir sprachen mit dem Bürgermeister, was ihn in dieser Zeit beschäftigt, bewegt und geärgert hat.

 Herr Ritsche, was war bisher die größte Überraschung, die Sie als Bürgermeister erlebt haben?

Rainer Ritsche: Dass wir eine so hohe Erstattung für die Gewerbesteuerausfälle vom Bund und dem Land NRW erhalten haben. Mit gut 6,9 Millionen Euro habe ich nicht gerechnet. Leider geht es bei dieser Frage um Geld, aber das ist in Wülfrath das drängendste Problem.

Was war bisher die größte Enttäuschung?

Ritsche: Dass die Impfung der Seniorinnen und Senioren in den Einrichtungen bisher vergleichsweise schleppend erfolgt. Die Menschen fragen mich, was ich gegen die hohe Inzidenzwerte in Wülfrath mache. Ich kann nur im Rahmen der personellen Möglichkeiten für Kontrollen sorgen, dass die Coronaschutzverordnung eingehalten wird. Impfstoff kann ich leider nicht besorgen. Enttäuschend ist auch, dass ich als Bürgermeister über die Impfplanungen in der eigenen Stadt bisher keine Informationen bekommen kann.

Sie tragen den Vorschlag mit, die Grundsteuer B und die Hundesteuer deutlich zu erhöhen. Haben Sie Verständnis für die vielen kritischen Stimmen aus der Bürgerschaft?

Ritsche: Das ist wohl eine natürliche Abwehrreaktion von Bürgerinnen und Bürgern, die unter Umständen das jahrelange Ringen des Rates und der Verwaltung um eine Verbesserung der Haushaltslage nicht so intensiv verfolgt haben. Mir war bei meiner Bewerbung um das Bürgermeisteramt klar, dass ich es nicht allen rechtmachen kann. Das ist mit dem Vorschlag einer Steuererhöhung sicher der Fall. Tatsache ist aber auch, dass es von den Kritikern keine anderen Vorschläge gibt, die den Haushalt in dieser Größenordnung verbessern, um die finanzielle Grundstruktur aufrecht zu erhalten. Auch nicht aus der Politik.

Sie meinen den Wahlkampf?

Ritsche: Ja. Die oft zu hörende Forderung nach dem „Kein Weiter-So“ (Anmerkung der Redaktion: die CDU) bedeutet doch, dass grundsätzliche Änderungen gewünscht werden. Die Verwaltung ist in den letzten Jahren mit einem sehr schmalen Personalbudget ausgestattet gewesen. Das hat die Handlungsspielräume sehr eingegrenzt. Es muss nun die grundsätzliche Frage geklärt werden, wie wir uns künftig finanzpolitisch aufstellen. Um die finanzielle Situation nicht schlechter werden zu lassen und die politischen und verwaltungsseitigen Handlungsspielräume zu erweitern, muss die Finanzlage der Stadt verbessert werden. Entweder heißt das noch mehr sparen, zum Beispiel Einrichtungen wie das Hallenbad und die Bücherei schließen. Für dieses Konzept bin ich nicht angetreten. Wülfrath soll seinen Freizeitwert, seine sozialen und kulturellen Infrastrukturen und seine lebendige Vereinslandschaft behalten.

Oder man muss eben auch die Einnahmeseite verlässlich stärken. Ich habe den voraussichtlich notwendigen Schritt einer Steuererhöhung schon vor der Wahl skizziert und hoffe auf eine Ratsmehrheit dafür. Trotzdem müssen wir natürlich immer wieder prüfen, ob sonstige Einnahmen verbessert, Prozesse effektiver gestaltet oder auch Ausgaben entfallen können.

Das passt zur ausgeschriebenen Stelle des Kämmerers/Ersten Beigeordneten. Die Bewerbungsfrist ist Ende Januar abgelaufen. Wie war die Resonanz?

Ritsche: Es gab 24 Bewerbungen. Ich schaue sie mir derzeit an. Gemeinsam mit der Politik wird abgestimmt, welche Kandidatinnen und Kandidaten zum Gespräch eingeladen werden. Im besten Fall können wir in der Sitzung Ende März im Rat einen der Bewerber oder eine Bewerberin in das Amt des Ersten Beigeordneten wählen.

Was muss ein erfolgreicher Kandidat mitbringen, um Ihr Nachfolger zu werden?

Ritsche: Der Kandidatin oder dem Kandidaten muss vor allem die Systematik des Neuen Kommunalfinanzmanagements (NKF) geläufig sein. Ich brauche niemanden mit verrückten Ideen, sondern eine Person, die sich für die Probleme in unserer Stadt interessiert und lösungsorientiert denkt. Das größte Problem in Wülfrath sind die Schulden. Das ist nun mal so. Ich erwarte natürlich nicht, dass der neue Kämmerer oder die neue Kämmerin unter unveränderten Rahmenbedingungen Wunder vollführt. Gut wäre es aber, wenn sich eine Finanzexpertin oder ein Finanzexperte auch um strukturelle Verbesserungen kümmert, auch über die Ämter des eigenen Dezernats hinaus, zum Beispiel beim Stichwort interkommunale Zusammenarbeit. Dabei kann unter Umständen Geld gespart werden, vor allem aber erhöht sich in größeren Organisationseinheiten der Spezialisierungsgrad, was auch zu Qualitätsgewinnen führen kann. Das Dezernat umfasst neben der Kämmerei zudem das Amt für Feuerschutz und Rettungswesen sowie das Ordnungsamt. Wir haben in allen drei Ämtern erfahrene Amtsleiter. Mit ihrer Hilfe wird sich die gesuchte Person schnell auch in die Themen einarbeiten können. Die Finanzverantwortung ist eine Querschnittsfunktion innerhalb der Verwaltung, daher muss sich die gesuchte Person in der Verwaltung sehr schnell gut vernetzen.

Welche Veränderung der Struktur in der Verwaltung haben Sie vor?

Ritsche: Zum 1. Februar habe ich die Zuständigkeit für Kultur aus dem Amt 80, Wirtschaftsförderung und Stadtmarketing, in das Dezernat lV verlagert. Nach der probeweisen Übernahme der Betriebsführung für den Zeittunnel durch die Genossenschaft möchte ich die Kulturveranstaltungen mit städtischer Beteiligung Richtung Innenstadt lenken. Der Wirtschaftsförderer erhält dadurch wieder mehr Freiräume, sich auf seine Kernkompetenzen zu konzentrieren und sich um Gewerbetreibende zu kümmern.

Im anstehenden Sitzungslauf wird das Organisationsgutachten für das Dezernat III beraten. Die Ergebnisse wären im Stellenplan zu berücksichtigen. Es geht um sieben bis acht zusätzliche Stellen für das Technische Dezernat von Stefan Holl. Am deutlichsten wird die chronische Unterbesetzung im Bereich der Stadtplanung und im Tiefbau. Hier muss die Stadtentwicklung gesteuert und dringend ein fundiertes Straßenunterhaltungskonzept auf den Weg gebracht werden. Die Perspektivenwerkstatt für die Innenstadt hätte ich gerne längst gestartet. Leider konnte aber die Stelle der Planungsamtsleitung noch immer nicht besetzt werden. Der öffentliche Dienst leidet derzeit, nicht nur in Wülfrath, unter einem erheblichen Fachkräftemangel. Zudem möchte ich zeitnah einen eigenen Facebook-Kanal für die Stadt Wülfrath aufziehen. Die Anfrage liegt bereits beim Personalrat, der hier Mitbestimmungsrechte hat. Viele Menschen nutzen für Informationen nicht mehr den Weg über die städtische Homepage.