100 Kempener Jahre Als auf Aschenplatz und Bökelberg gekickt wurde

Kempen · Der Kempener Lukas Tölle ist Jahrgang 1992 – damit gehört er wohl zur letzten Generation mit analoger Kindheit. Fußball spielte für ihn als Kind eine große Rolle.

Der Name von Lawrence Aidoo (r.) stand auf dem Trikot von Lukas Tölle.

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Bei seinem Lieblingsplatz als Kind muss Lukas Tölle nicht lange überlegen. Auf dem Sportplatz hat er die meiste Zeit seiner Kindheit verbracht. Und auch wenn er nicht auf dem Aschenplatz an der Berliner Allee stand, spielte er am liebsten Fußball. In der WZ-Serie „100 Kempener Jahre“ erzählt der 26-Jährige von seiner Kindheit.

In der Stiegerheide wuchs er mit seiner älteren Schwester Stefanie, Mama Barbara und Vater Achim auf – ländlich geprägt. Und das heißt für ihn vor allem, dass er dort viel Gemeinschaft erfahren hat. Die Nachbarschaft und die Schmalbroicher Vereine sind sehr aktiv. In die Schützenbruderschaft Hüskes Krone ist er „hineingeboren“ und bis heute engagiert. Er wurde erster Jungschützenkönig und zog 2002, als Norbert Winges Schützenkönig war, mit seinen Jungschützenministern Thomas Birmes und Michael Krings über die Straße. Vier Jahre später wechselte man die Rollen und Lukas Tölle wurde Minister. Jugendarbeit gab es in der Bruderschaft damals aber nicht. Das hat sich geändert. Seit dem vergangenen Jahr gibt es bei Hüskes Krone eine Jugendgruppe, in der sich Kinder und Jugendliche regelmäßig treffen.

Mit fünf Jahren fing Lukas an, Fußball zu spielen und war bis zur B-Jugend beim SV Thomasstadt. Der Garten der Familie Tölle oder die Wiese am Rodelberg waren ebenfalls beliebte Fußballplätze. Lukas Tölle erinnert sich auch noch gut an die Eröffnung des Bolzplatzes im Neubaugebiet an der Vorster Straße in der Nähe des Außenrings im Jahr 2004. Das heutige „Frauenviertel“ wuchs seit dem Jahr 2000 nach und nach. „Wir haben da in den Osterferien jeden Tag gespielt und innerhalb von kürzester Zeit war der Rasen kaputt.“ Nachdem die Oberfläche mit Asche versehen wurde, war der Bolzplatz nicht mehr so beliebt.

Auch seinen Vater Achim begeisterte Lukas Tölle für Fußball. Er wurde Betreuer und engagierte sich im Verein. Den Bau des Vereinsheims an der Berliner Allee brachte er mit Lukas’ Trainer Giovanni Malacasa maßgeblich voran. Lukas Tölle wurde Fan von Borussia Mönchengladbach. Ein besonderes Erlebnis war das letzte Spiel auf dem Bökelberg. Am 22. Mai 2004 hieß es Abschied nehmen vom alten Stadion. Gegen München 1860 siegten die Fohlen 3:1. Arie van Lent sorgte mit einem Kopfballtor für den 3:1-Endstand, auch der 39-jährige Keeper Uwe Kamps kam noch einmal zum Einsatz. Lukas Tölle hatte eigentlich keine Karte. „Mein Vater bekam als Schiedsrichter eine Freikarte. Es gab noch keine Drehkreuze und ich bin dann einfach so durchgegangen.“

Einen Lieblingsspieler hatte Lukas Tölle nicht. In seiner Kindheit glänzte die deutsche Nationalmannschaft nicht gerade. Und auch die Borussia aus Mönchengladbach hatte nicht ihre beste Zeit. In der Saison 1998/99 stieg der Traditionsverein in die zweite Liga ab, konnte aber 2000/01 wieder den Aufstieg feiern. Ein Trikot hatte Lukas von Lawrence Aidoo. Der ghanaische Fußballer spielte von 1999 bis 2003 bei der Borussia. Mittlerweile gehört er zum Trainerteam des SV Rheydt in der Bezirksliga und dort trifft ihn Lukas Tölle, der mittlerweile beim SSV Grefrath seine sportliche Heimat gefunden hat. „Das ist schon komisch. Als Kind hatte ich ein Trikot von ihm und am Wochenende stehe ich ihm gegenüber.“

Ein Highlight war für ihn in seiner Grundschulzeit das Turnier der Grundschulen, das der FC St. Hubert seit 1985 organisiert. „So etwas haben wir auf der weiterführenden Schule vermisst.“ Er erinnert sich noch, dass die Jungs darauf hingefiebert haben. Im vierten Jahr schafften sie es tatsächlich und gewannen den begehrten Pokal. Die Trophäe wurde am Ende des Schuljahres versteigert. Mit zwei Freunden schmiss er das Taschengeld zusammen, um sich den Pokal zu sichern, der heute in seinem Büro steht.

Lukas Tölle besuchte den Kindergarten Hermann-Josef, die Regenbogenschule und das Thomaeum. Klassenfahrten führten in der Grundschule nach Hinsbeck und zu einem Mitmachbauernhof in Bielefeld. Ein Klassiker auf dem Thomaeum ist die Fahrradtour nach Eyll, die für viele vor allem wegen der Nachtwanderung berühmt-berüchtigt ist. Bei einer Klassenfahrt nach Holland spielte wieder Fußball eine Rolle. Es war Europameisterschaft 2004. Die deutsche Mannschaft war in der Vorrunde ausgeschieden. Für den Spott „Schade Deutschland, alles ist vorbei“ konnten sich die Schüler wenig später revanchieren, als die Niederlande im Halbfinale ausschieden. In Erinnerung geblieben ist Lukas Tölle die Fahrt nach München, bei der auch die Besichtigung des Konzentrationslagers Dachau anstand. „Das war beeindruckend. Ich kann nur jedem empfehlen, sich das einmal anzusehen.“

Die Familie Tölle fuhr gerne in den Ski-Urlaub. Seit er 14 Jahre alt war, waren für Lukas die Ferien aber auch die Zeit zu arbeiten, um Geld zu verdienen. Von seinen Eltern hat er früh gelernt, die Verantwortung für Geld zu übernehmen. Sein Kindergeld bekam er als Jugendlicher, musste davon zum Beispiel seine Klamotten selbst bezahlen. „Das würde ich bei meinen Kindern auch so machen. So lernt man Verantwortung.“

Kirmes mit Entenangeln, Break Dancer und Autoscooter war für ihn als Kind ein besonderes Ereignis. „Wenn ich heute auf die Kirmes gehe, denke ich immer, dass sie früher größer war.“ Schwimmen und Eislaufen standen am Wochenende oft auf dem Programm. „Beim legendären Herrn Werthschulte habe ich in der dritten Klasse mein Goldabzeichen gemacht“, erinnert er sich.

An Peschbenden gab es damals eine Tankstelle, eine Kneipe und die Bäckerei Oomen – die Schlangen bis über die Straße  beim Brötchen holen am Samstagmorgen hat der 26-Jährige noch vor Augen. Dort konnte man auch Süßes kaufen – oder Saures, so wie Center Shock, die supersauren Kaugummis. In der Zeit auf dem Thomaeum ging es zu „Tanki“, wo es für einen Euro eine volle Süßtüte gab.

Für Kinder ein Paradies waren Spielwaren Stein und Jansen, aber auch die Genossenschaft. Dort gab es Siku-Trecker, für die Lukas  sein Taschengeld sparte. Mit dem Traktor, mit Rübenroder und Mähdrescher wurden im Kinderzimmer Weizen- und Maiskörner transportiert. Auf dem Game Boy wurde Tetris gespielt, Pokémon auf dem Game Boy Color, auf der Konsole später Fifa und Fußball-Manager. Geduldig saß man nebeneinander und wartete, bis der andere seine Mannschaft zusammengestellt hatte.

Lukas Tölle ist sich bewusst, dass er wohl zur letzten Generation gehört, deren Kindheit noch analog begann. Er freut sich, dass er diese Entwicklung miterlebt hat. Vom Fiepen des Modems, der besetzten Telefonleitung und dem Blick auf die Uhr beim Chatten über ICQ mit den Freunden, weil ja jede Minute online kostete, bis hin zum Smartphone, mit dem man heute überall dauerhaft online ist.