Analyse: Hat Kempen eine braune Szene?

Politikwissenschaftler Klaus-Peter Hufer sieht auffällige Probleme mit Rechtsradikalen — die Polizei nicht.

Kempen. Es sind Bilder, die beim Betrachter Beklemmung hervorrufen: Junge Menschen ziehen durch die Kempener Altstadt. Ausgestattet sind sie mit Fahnen der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) und der Jungen Nationaldemokraten (JN) — das ist die Jugendorganisation der NPD. Die kleine Gruppe skandiert Parolen wie „Todesstrafe für Kinderschänder“.

Auf dem Video-Portal Youtube kann man sich im Internet Filme von sogenannten Spontandemonstrationen der Gruppe ansehen. Zum Beispiel ziehen die Neonazis beim Schokoladenfestival am 2. April 2011 über die Engerstraße und fordern harte Strafen für Kinderschänder. In einem anderen Video demonstrieren sie gegen die „Überfremdung unserer Heimat“ — beim Weihnachtsmarkt 2010 Bilder, die erschrecken und die Frage aufwerfen, ob Kempen ein Problem mit Neonazis hat.

„Man muss ganz klar sagen, dass es in Kempen eine braune Szene gibt“, sagt der Politikwissenschaftler Klaus-Peter Hufer. Er vertritt damit eine andere Meinung als die Polizei (siehe Kasten). Der Fachbereichsleiter der Kreis-Volkshochschule (VHS) und Dozent der Universität Duisburg-Essen beschäftigt sich intensiv mit dem Thema. Es sei zu erkennen, dass Kempen eine Art „Rückzugsraum“ für Krefelder NPD-Aktivisten ist. „In Krefeld ist die Organisation seit einigen Jahren sehr präsent“, so Hufer. Nicht zuletzt weil der frühere Bundesvorsitzende der NPD, Udo Voigt, aus Krefeld stamme.

Neben den Videos im Internet sind die Rechten aus Sicht von Hufer auch durch Aufkleber und Plakate sowie durch Auftritte bei öffentlichen Veranstaltungen präsent. „Bei VHS-Veranstaltungen in Kempen habe ich mehrfach die Erfahrungen machen müssen“, so der Wissenschaftler. Bei Diskussionsrunden würden Gesprächsteilnehmer von den Rechten verbal angegriffen. In einem Beispiel sei ein dunkelhäutiger Referent Ziel von rassistischen Beleidigungen gewesen.

Hufer findet es gefährlich, wenn man die rechte Szene ignoriert: „Wir dürfen die Augen davor nicht verschließen. Vielmehr muss man mit Zivilcourage dagegen vorgehen.“ Wenn man Zeuge einer Demo werde, sollte man nicht zögern, die Polizei zu rufen. „Nur ,Pfui’ rufen und weitergehen, wie man es in den Videos sehen kann, hilft nicht viel“, so der Kempener.

Die Thomasstadt sei aber alles andere als eine rechte Hochburg, sagt Klaus-Peter Hufer: „Die Situation ist nicht mit der in einigen ostdeutschen Städten zu vergleichen. Definitiv nicht.“ Auch sei Kempen nicht nur geprägt von Ignoranz gegenüber der Szene. Diesen Eindruck hatte jüngst ein Artikel in der überregionalen „Welt am Sonntag“ vermittelt. Das Springer-Blatt hatte sich unter der Überschrift „Mein Nachbar Philippe, der Neonazi“ mit dem NPD-Vorsitzenden Krefeld/Kleve, Philippe Bodewig, befasst. Er lebt in Kempen und ist bei den Demos in der Altstadt der Kopf der Gruppe.

„In vielen Veranstaltungen setzt man sich in Kempen mit der deutschen Vergangenheit und auch aktuellen Problemen auseinander“, sagt Hufer. Beispiele seien Seminare der VHS, Veranstaltungen des Historikers Hans Kaiser und auch die öffentlichen Gedenktermine der Stadt — zum Beispiel zur Pogromnacht am 9. November.

Zur aktuellen Diskussion nach dem „Welt am Sonntag“-Artikel wollte Bürgermeister Volker Rübo am Donnerstag gegenüber der WZ nichts sagen. „In der Ratssitzung am Dienstag wird eine Resolution des Bürgermeisters und aller Fraktionen zu dem Thema vorgelesen.“