Diskussion mit Anne und Nikolaus Schneider in Kempen Ist Suizid in Einzelfällen wirklich eine Option?

Kempen · Am Kaffeetisch im Hause Schneider dürfte es nie langweilig zugehen. Denn Nikolaus und Anne Schneider sind – bei aller gemeinsamen Verankerung im christlichen Glauben – durchaus nicht immer einer Meinung.

Sie ist Theologin, er war bis 2014 als EKD-Ratsvorsitzender Oberhaupt der evangelischen Kirche in Deutschland: Anne und Nikolaus Schneider.

Foto: Norbert Prümen

Auf Einladung der evangelischen Kirchengemeinde Kempens sprachen Altpräses Nikolaus Schneider und seine Ehefrau Anne nun in der Schwedenkirche in St. Hubert über ein Thema, das sie beide umtreibt und das ihnen persönlich in dramatischer Weise nahegekommen ist.

Es geht um das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben. „Ist das meine Entscheidung?“, so ihre Ausgangsfrage, die beide kontrovers vor etwa 40 Gästen unter der Moderation von Pfarrer Michael Gallach diskutierten.

Ihre lebhaften und spannungsvollen privaten Diskurse haben sie mittlerweile auch öffentlich gemacht: In dem gemeinsamen Buch „Vom Leben und Sterben“, das 2019 erschienen ist. Zudem sind die beiden seit dem Ruhestand von Nikolaus Schneider als Referenten zu dem Thema unterwegs. 2005 verlor das Paar, das seit mehr als 50 Jahren verheiratet ist, seine jüngste Tochter Meike mit nur 22 Jahren an Leukämie. Als Anne Schneider an Brustkrebs erkrankte, trat Nikolaus Schneider 2014 als Ratsvorsitzender der evangelischen Kirche in Deutschland zurück.

Aussagen zu Suizid
sorgten für viel Wirbel

Anne Schneider ist Theologin und war Realschullehrerin für Mathematik und Evangelische Religion. Sie hatte nach ihrer Erkrankung in einem Interview offen bekundet, dass sie sich vorstellen könne, „in die Schweiz zu fahren“, um ihrem Leben selbstbestimmt ein Ende zu machen. Eine Äußerung, die damals für großen Wirbel sorgte. Und auch heute bekundet sie: „Ich bin davon überzeugt, dass mich ein Suizid nicht von der Liebe Gottes trennt.“ Sie glaube nicht an einen von Gott vorbestimmten feststehenden Todeszeitpunkt. Unter bestimmten Umständen dürfe die Sterbephase verkürzt werden. Etwa wenn das Leben und die damit verbundenen Leiden nur noch technologisch künstlich verlängert werden. „Ich lehne ein kategorisches Nein unserer Kirche zur Selbsttötung ab“, bekundete sie. Und: „Ich wünsche mir von unserer Kirche mehr Mut zu protestantischer Freiheit.“

Ihr Mann hielt dagegen. „Ein Mensch gehört nicht sich selbst, er oder sie gehört Gott. Ein Mensch soll das Geschenk des Lebens nicht eigenmächtig an Gott zurückgeben“, befand er, auch wenn es Ausnahmen geben möge. Das solle aber niemals der „normale Weg“ werden. „Ich persönlich will einem Menschen in existentieller Anfechtung nicht kaltherzig begegnen“, stellte er aber auch klar. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom letzten Jahr, das das Recht auf Selbsttötung als Teil der Persönlichkeitsrechte definiert habe, bereite ihm „Bauchschmerzen“, vor allem, weil dies ohne Einschränkungen erfolgt sei.

Eine langjährige Anästhesistin im Publikum wollte wissen, ob man sich schon einmal gefragt habe, wie sich ein Arzt bei der Suizidbeihilfe fühle. Dazu dürfe ein Arzt niemals gezwungen werden, stellte Anne Schneider klar. Sie hoffe, dass sie dann einen Arzt bitten könne, ohne ihm rechtliche Probleme zu bringen. „Und dass Nikolaus dann bei mir ist und meine Hand hält.“ Seine Antwort: „Das wird so sein.“