Karl Hensel: „Vieles läuft verquer“
Der ehemalige Bürgermeister äußert sich in einem Offenen Brief zur Burg. Und fordert den Mut ein, das Denkmal zu übernehmen.
Kempen. Seit 2009 ist Karl Hensel (73) im Ruhestand. Der ehemalige hauptamtliche Bürgermeister der Stadt Kempen hat sich seitdem öffentlich mit seiner Meinung zum Geschehen in der Thomasstadt zurückgehalten — bis gestern. Da erreichte die Redaktion der WZ ein Offener Brief zum Thema Burg und zu der Diskussion darüber, ob die Stadt die Burg kaufen soll oder es dem Kreis Viersen als Eigentümer überlässt, einen Investor zu finden und an diesen das markante Kempener Bauwerk zu verkaufen (die WZ berichtete).
Hier der Wortlaut des Briefes von Karl Hensel:
„Mit Unverständnis und Sorge verfolge ich die Kontroverse um unsere Kempener Burg. Als langjähriger Stadtdirektor und Bürgermeister unserer Stadt Kempen wollte ich mich eigentlich zu kommunalen Themen nicht mehr äußern. Doch bei diesem Thema läuft aus meiner Sicht vieles so verquer, dass ich mich zu diesem Brief veranlasst gesehen habe.
Im Jahre 1989 trat die Stadt Kempen der renommierten „Arbeitsgemeinschaft Historische Stadtkerne NRW“ bei. Auf diese Mitgliedschaft, die eine Auszeichnung ist, sind wir Kempener sehr stolz. Aber sie verpflichtet die Stadt Kempen dazu, sich der Verantwortung für eines ihrer herausragendsten Baudenkmäler zu stellen und sich ihr nicht zu entziehen. Wie will die Stadt künftig glaubwürdig einem Privatmann denkmalpflegerische Maßnahmen abverlangen, wenn sie selbst ihre mit dem Eintritt in diese Arbeitsgemeinschaft eingegangene besondere denkmalrechtliche Verpflichtung nicht erfüllt?
Eine rein ökonomische Betrachtung greift bei unserem so stadtgeschichtlich wichtigen Denkmal Burg zu kurz. Wie die Propsteikirche, das Kuhtor, die Stadtbefestigung mit Wehrmühle, der mittelalterlichen Stadtgrundriss — von den vielen denkmalwerten Häusern ganz zu schweigen — verkörpert die Burg unsere Stadt Kempen und trägt zum Stolz und zur Identifizierung der Bürger mit ihrem Gemeinwesen maßgeblich bei. Martinsfeuerwerk, Turmblasen, Fronleichnamsfest, Veranstaltungen auf der Burgwiese sind für Kempener von Kind an mit der Burg verbunden. „Zuhause in Kempen“ — übrigens ein Wahlslogan der CDU vergangener Jahre — umfasst all das. Dieser Wert für den Zusammenhalt eines Gemeinwesens lässt sich nicht beziffern und ist unbezahlbar. Politisch kann die Stadt gar nicht anders, als sich der Burg anzunehmen.
Über baurechtliche und denkmalrechtliche Vorschriften den Erhalt der Burg und ihre künftige Nutzung im Sinne der Kempener Bürgerschaft ausreichend steuern zu können, wie der Bürgermeister und die Verwaltung glauben, ist nur bedingt möglich und zudem riskant. Sie kann böse ins Auge gehen. Was wird z. B., wenn ein Privatinvestor aus wirtschaftlichen Erwägungen schwer zu vereinbarende Kompromisse einfordert oder mit seiner Investition wirtschaftlich scheitert? Oder wenn er das Bauwerk einfach spekulativ liegen lässt? Dann ist die Stadt wieder am Zuge in einer möglicherweise ungleich schwierigeren Problemlage.
Die vernünftigste, sauberste und dauerhaft sicherste Problemlösung ist die Übernahme der Burg durch die Stadt. Dann hat sie das Heft des Handelns in der Hand. Der momentane bauliche Zustand der Burg ist nicht so, dass ihr Erhalt in Frage steht. Die Stadt hat genügend Zeit, um ein tragfähiges Nutzungskonzept zu entwickeln und mit Hilfe öffentlicher Fördergelder umzusetzen. Das muss nicht von heute auf morgen gehen. Hektik ist nicht angebracht. Aber Mut ist gefordert, wie wir ihn bei ungleich schwierigeren Problemen in Kempen immer bewiesen habe.
An dieser Stelle ist auch der Kreis Viersen in die Pflicht zu nehmen. Als Eigentümer der Burg kann er als öffentlich-rechtliche Körperschaft sich nicht wie ein Privatmann seiner denkmalrechtlichen Verpflichtung einfach entziehen und die Stadt im Regen stehen lassen. Er hat über 80 Jahre die Burg genutzt und seinerzeit im Zuge der kommunalen Neugliederung — das scheint ganz vergessen zu sein — seine Einstandspflicht für die Burg und deren Nutzung ausdrücklich bekräftigt. Wenn er heute die Burg für eine Nutzung als Archiv nicht mehr als geeignet ansieht, muss er darüber nachdenken, inwieweit nicht anderweitige Einrichtungen oder Verwaltungsstellen in die Burg einziehen können. Notwendige Umbauten hätte er mit zu übernehmen.
Nicht in einer Kontroverse, sondern in der Wahrnehmung der gemeinsamen gesetzlichen Verpflichtung und Verantwortung für das Baudenkmal Burg sollte es Stadt und Kreis gelingen, ein tragfähiges Konzept zu entwickeln und umzusetzen. Grundlage dafür ist allerdings die Zusage der Stadt, die Burg zu übernehmen, und zwar zum jetzigen Zeitpunkt ohne jede Vorfestlegung einer künftigen Nutzung, sowie der Verzicht des Kreises, die Burg zum Erwerb durch einen Investor auszuschreiben.
Ich hoffe mit dieser Stellungnahme alle Akteure dazu zu bringen, sich zu einer klugen und guten Entscheidung zusammenzufinden, damit künftige Generationen nicht einmal von einer verpassten Chance reden müssen.“ Red