Missbrauch „Da herrscht einfach nur Wut“

Kempen · Der 23-jährige Michael Horne sagt, er sei als Kind von dem Pfarrer Georg Kerkhoff in Südafrika sexuell bedrängt worden. Die Entschädigungszahlung der Kirche von 5000 Euro hält er für nicht angemessen.

im Januar 2015 wurde der Fall Kerkhoff vor dem Landgericht Krefeld verhandelt.

Foto: Jochmann, Dirk (dj)

Wenn Michael Horne über seinen Fall und den Umgang der katholischen Kirche damit spricht, leben verschiedene Gefühle in ihm auf. „Heute stehe ich darüber“, sagt der 23-Jährige. Ein paar Minuten später fasst er seine Empfindungen so zusammen: „Da herrscht einfach nur Wut.“ Die aktuelle Misssbrauchsdebatte in der katholischen Kirche, die verfolge er „gar nicht so krass. Ich will mit dem Thema nicht mehr viel zu tun haben.“ Denn das „würde nur wieder Schmerzen wieder hervorrufen.“

Geboren und die ersten Jahre aufgewachsen ist Horne, der heute mit seiner Mutter in Kaiserslautern lebt, in Südafrika. Dort vollzieht sich im Februar 2008 auch die Tat im Schlafsaal eines Camps für Erstkommunionskinder nahe Johannesburg, wo der Pfarrer mit den Jungs im gleichen Schlafsaal nächtigt. Bei dem Pfarrer handelte es sich um den aus Willich stammenden Georg Kerkhoff, der von 1994 bis 2007 in verschiedenen Pfarrgemeinden des Bistums Aachen – unter anderem in Kempen, St. Tönis und Nettetal – tätig war.

An diesem Abend machte Kerkhoff mit ihm das „Kuschelspiel“ und legte sich zu ihm ins Bett, sagt Horne. „Er hat sich mit aller Macht an mich geklemmt, an mich gerieben und gestöhnt, das war ganz ekelhaft“, erzählt er. „Ich bin vom Bett gefallen, habe versucht, mich zu befreien. Ich war ein kleines Kind und wusste nicht, was da passiert. Ich habe mir extrem weh getan am Bein.“ Nachdem er aus dem Bett gefallen war, sei Kerkhoff noch zu weiteren Kindern gegangen. „Die waren da gewarnt, waren verängstigt, sind weggerannt, haben am Pfarrer versucht zu zerren, ihm in die Augen gestrahlt, damit er geblendet ist“, sagt Hornes Mutter.

Über eine Katechetin, die bei den Eltern nachfragt, kam heraus, was passiert ist. Der Bischof von Johannesburg empfahl den Gang zur Polizei, der Fall wurde angezeigt. Das anschließende Verhalten der Kirche „war aus unserer Elternsicht das Schlimme“, sagt die Mutter. „Der Prälat Peter Prassel (damals Leiter des katholischen Auslandssekretariats, die Red.) sagte vor Ort: Die Eltern haben vorschnell Anzeige erstattet. Es darf nicht drüber gesprochen werden, sonst sei eine Versöhnung nicht mehr möglich.“ Statt Unterstützung gab es Vorhaltungen und Ausgrenzung vor Ort.

Die Kirche bezahlte Kerkhoff „den teuersten Rechtsanwalt, den man in Johannesburg bekommen konnte“, so die Mutter. Mit ihrem Sohn kehrte sie im August 2009 nach Deutschland zurück, das Verfahren begann 2010. Derweil zeigte sich Kerkhoff im Mai 2010 bei der Staatsanwaltschaft Krefeld selbst an, weil er sich in seiner Zeit in Deutschland bereits an Minderjährigen vergangen hatte. Damit ließ die Kirche ihn fallen, es kam ein anderer Anwalt. 

Ein Verhör, das der Junge
als emotionale Folter erlebte

Über fünf Jahre nach der Tat flogen Mutter und Sohn für zwei Verfahrenstage wieder nach Südafrika. Der Rechtsanwalt attackierte Michael Horne im Verhör heftig: „Bei jedem Worthänger wurde ich vom ihm als „Lügner“ beschimpft. Ich sollte aus seiner Sicht Reue zeigen. Es sei eine Frechheit, dass ich sowas mache.“ Für den Elfjährigen war das Verhör „emotionale Folter“, sagt er rückblickend. Weil Akten verschwinden und das Gericht sich außerstande sieht, das Verfahren abzuschließen, wurde es 2014 beendet, Kerkhoff nach Deutschland überstellt und 2015 in Krefeld für seine Taten in Deutschland zu sechs Jahren Haft verurteilt.

„Für mich ist also keine Gerechtigkeit entstanden, juristisch wie emotional. Das hat mich unfassbar wütend gemacht“, sagt Horne. Er wünsche sich von der Kirche „eine Entschuldigung, eine Aufarbeitung und Anerkennung meines Leids.“ Im Februar 2020 sprechen er und seine Mutter mit dem Aachener Bischof Helmut Dieser. Ihm werden 5000 Euro zugesprochen, das Verfahren sei damit auch noch nicht abgeschlossen, heißt es. Hornes Schlussfolgerung: „Sie haben es zwar nie versprochen, doch sie haben so geredet, als ob das Gremium mich bestimmt noch weiterhin unterstützen würde.“ Das Gremium — das ist die Unabhängigen Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA), in dem Pädagogen, Traumaexperten und weitere Experten über die Auszahlung von Geldern an Missbrauchsopfer entscheiden.

Nach 21 Monaten wird Hornes zweiter Antrag ohne Begründung abgelehnt. „Ich fühle mich total betrogen und belogen“, meint Horne bitter. „Der Verbrecher, in dem Fall die Kirche, sucht sich also seine Strafe nun auch noch selbst aus.“ Er und seine Mutter wollen die katholische Kirche verlassen. 

Johannes Heibel, Vorsitzender der „Initiative gegen Gewalt und sexuellen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen e.v.“, der Hornes Fall und die anderen Missbrauchsfälle Kerkhoffs mit aufgedeckt hat, will das so nicht hinnehmen. Der massive Übergriff, die jahrelange Konfrontation damit, wie man ihnen den Mund in Südafrika verbat, das müsse doch alles mit einfließen. „Das ist richtig schäbig. Die Kirche will eine moralische Instanz sein, sich um die Seelen kümmern. Das ist das genaue Gegenteil.“

Das Verfahren ist innerhalb der Kirche umstritten

Dass die UKA ihre Entscheidungen nicht begründe, sei in diesem außergerichtlichen Verfahren so festgelegt worden, sagt der Interventionsbeauftragte des Bistums Aachen, Helmut Keymer. „Selbst wenn der Bischof anruft, kriegen die keine Beträge. Da haben wir keinen Einfluss drauf.“ Man könne schon deswegen keine Einsprüche stellen, „weil es keine Begründung gibt.“ Bei über 50 000 Euro frage das OKA beim Bistum nach, „ob es das bezahlen will. Alles darunter legt das OKA fest und das ist das letzte Wort.“ Bei neuen Fakten könne man einen weiteren Antrag stellen. 

Die Bistümer hielten sich an das Votum. Von den 400 Orden hätten sich aber nur gut 70 an das OKA angeschlossen. Der Betroffenenbeirat der Bischofskonferenz habe das Verfahren bereits heftig kritisiert. „Es gab auch Alternativen, wo sich die Bischofskonferenz dagegen entschieden hat.“ Das Gremium spreche nicht mit Betroffenen. Entscheidend seien die sogenannten unabhängigen Ansprechpersonen, die die Betroffenen ansprechen können. Im Bistum Aachen gibt es deren fünf, die bei der Antragstellung helfen - auch im Fall Horne. Es gebe dann eine sogenannte Plausibilitätsprüfung. „Niemand wird gesagt haben, dass es mehr gibt, weil man sonst Erwartungen weckt. Das ist eine Wundertüte.“

Dass das Gespräch auf Horne eine andere Wirkung hatte, sei offensichtlich. Er bedauere das Gefühl, dass sich Opfer wie Horne nicht angemessen anerkannt fühlen. „Das ist schlimm, tragisch, furchtbar. Das ist so.“ Aber Horne sei nicht der einzige, der unzufrieden ist. „Wir haben mittlerweile 60 Betroffene im Bistum, die Leistungen erhalten haben. Darunter gibt es welche, die sich mit 1000 oder 50 000 Euro anerkannt fühlen und diejenigen, die sich nicht anerkannt fühlen. Das ist eine sehr subjektive, im Einzelfall nachvollziehbare Wahrnehmung.“ Deswegen biete man auch jedem ein Gespräch mit dem Bischof an und den Draht über die Ansprechpersonen. Im Fall Kerkhoff hätten sechs Personen einen Antrag gestellt. Und auch da habe es unterschiedliche Bescheide gegeben, der Höchste lag über 50 000 Euro.

Ab Anfang Mai soll es einen Betroffenrat im Bistum geben. An diesen Rat könne sich Horne wenden. Keymer hofft auch auf die Aufarbeitungskommission des Landes NRW. Man warte aber seit zwei Jahren darauf, das das Land seine beiden Vertreter für das Gremium benennt. „Wir brauche die Impulse von außen, um aufzuräumen. Da müssen wir viel tun und da sind wir sehr, sehr spät dran.“