Raumausstatter Vincent Stenmans aus Oedt Ein Raumausstatter geht auf die Walz
Oedt. · Für den 25-jährigen Vincent Stenmans aus Oedt beginnt am heutigen Montag ein großes Abenteuer.
Die Kluft aus schwerem roten und schwarzen Cordsamt ist funkelnagelneu. Maßgeschneidert in Hamburg. Auf der Innenseite des Jacketts ist der Name des Besitzers eingenäht: Vincent Stenmans. Noch ist der Stoff etwa sperrig. Doch das wird sich im Laufe der nächsten Zeit sicher ändern. Denn Vincent Stenmans (25) aus Oedt wird diese Kleidung drei Jahre und einen Tag lang sehr häufig tragen. Er begibt sich als Wandergeselle auf die Walz. Und zwar, das ist das Besondere, als Raumausstatter-Geselle.
Die Kluft zeugt von der langen, aus dem Mittelalter stammenden Tradition, in die er sich damit stellt. Sogar die Anzahl der Knöpfe an der Kleidung hat Symbolwert. Die acht Knöpfe an der Weste stehen für acht Arbeitsstunden, die sechs Knöpfe am Jackett für die frühere Sechs-Tage-Woche und die jeweils drei Knöpfe an den Aufschlägen der Ärmel für drei Lehr- und drei Wanderjahre. Denn früher waren die Wanderjahre nach der Gesellenzeit die Voraussetzung, um den Meistertitel zu erwerben. Vieles hat sich geändert, doch die Tradition der Walz lebt weiter.
Während Zimmerleute, Maurer oder Schreiner häufiger auf Wanderschaft anzutreffen sind, gibt es aktuell nur zwei junge deutsche Raumausstatterinnen auf der Walz. Helene ist eine von ihnen. Die so genannte Alt-Gesellin hat sich bereit erklärt, Vincent in den ersten drei Monaten seiner Wanderzeit zu begleiten. Die sind eine Art Probezeit, erst danach entscheidet sich, ob Vincent weitermacht und in seine Gesellen-Vereinigung, den so genannten Schacht, aufgenommen wird.
„Mich reizt der Abenteuerfaktor“, sagt der junge Mann, der im elterlichen Betrieb an der Hochstraße in Oedt seine Raumausstatter-Lehre und danach bereits verschiedene berufliche Weiterbildungen, auch im Ausland, absolviert hat. Er will in den nächsten drei Jahren seinen beruflichen, aber auch seinen persönlichen Horizont erweitern. „Mein Ziel ist es, in Raumausstatter- oder artverwandten Betrieben zu arbeiten“, erzählt Vincent Stenmans. Er hat sich bereits interessante Betriebe im Internet herausgesucht, will auch einen befreundeten Berufskollegen in Frankreich besuchen.
Dies hört sich zunächst nicht außergewöhnlich an, doch die besonderen Regeln seiner Walz machen das Ganze ziemlich spannend: Drei Jahre und einen Tag lang darf er sich seinem Zuhause in Oedt bis auf 50 Kilometer nicht nähern. Er darf kein Telefon, Handy oder Laptop besitzen. Er darf für das Reisen und die Unterkunft nichts bezahlen. Und, das ist für seine Freundin Miriam Bovelett (24) das Schwerste: In den ersten drei Monaten herrscht eine totale Kontaktsperre zu allen Angehörigen. „Diese drei Monate stören mich im Moment mehr als die drei Jahre“, sagt die Studentin. Denn danach sind Kontakte wieder erlaubt, sofern sie außerhalb des 50-Kilometerradius stattfinden. Doch Miriam trägt die Entscheidung ihres Freundes bewusst mit: „Wenn man einen Traum hat, dann muss man ihn auch verwirklichen“, meint sie.
Vincent Stenmans hegt diesen Traum schon länger. Vielleicht liegt es auch an der engen Verbundenheit, die seine Familie zu Adolph Kolping hat. Der katholische Priester gründete im 19. Jahrhundert die ersten Gesellenvereine, die Keimzelle des heutigen Kolpingwerks. Jedenfalls hat ihn seine Mutter Birgit ebenfalls sehr unterstützt. „Mein Vater ist dagegen skeptischer“, sagt Vincent. Was genau auf ihn zukommt, weiß er nicht, vor allem ohne die modernen Kommunikationsmittel. Er hofft darauf, dass die Kluft Vertrauen schafft, ihm auch als „Türöffner“ behilflich ist. Denn darin liegt für ihn der besondere Reiz: „Ich muss auf Menschen zugehen, mich dem Unerwarteten und Zufälligen stellen.“
In wenigen Tagen erwartet er seine Altgesellin Helene. Bis dahin wird noch einmal tüchtig im Freundeskreis Abschied gefeiert. Und dann geht es los: ins Abenteuer Walz.