Hinsbeck Biologe warnt vor Einwanderung in der Natur

Hinsbeck. · Ansgar Reichmann, Leiter der Biologischen Station, beobachtet einen Wandel.

 Nutrias stammen ursprünglich aus Südamerika, breiten sich aber am Niederrhein aus.

Nutrias stammen ursprünglich aus Südamerika, breiten sich aber am Niederrhein aus.

Foto: dpa/Andreas Arnold

„Ich will noch nicht von einer Katastrophe sprechen, aber die Lage spitzt sich immer mehr zu“, mahnt Ansgar Reichmann. Was den Leiter der Biologischen Station Krickenbecker Seen an der Krickenbecker Allee in Hinsbeck beunruhigt, sind die sogenannten invasiven Arten: tierische und pflanzliche Eindringlinge. „Ihre Ausbreitung gefährdet das biologische Gleichgewicht. Die Schäden etwa durch Nutrias in unseren Naturschutzgebieten nehmen immer größere Ausmaße an“, klagt Reichmann.

Neuseeländischer Plattwurm, Ochsenfrosch und Waschbär – die Liste der invasiven Tiere ist lang, die der pflanzlichen übrigens nicht minder. Reichmann blättert in Papieren und Mappen auf seinem Schreibtisch – Untersuchungen und Forschungsergebnisse über die Eindringlinge. „Manche Arten wie etwa der gefräßige Ochsenfrosch kommen hier bei uns nicht oder kaum vor“, erläutert er und schränkt ein: „Noch nicht.“

Andere hingegen seien längst etabliert: „Dass Nutrias Deiche und Ufer unterwühlen und zerstören, ist bekannt, aber mittlerweile werden auch die Schäden in Flora und Fauna immer schlimmer“, sagt er. Der Leiter der Biologischen Station fürchtet Zustände wie in Regionen Italiens, in denen Nutrias nahezu alle Seerosen dezimiert haben. Er schüttelt den Kopf: „Außerdem machen sie sich über Muscheln und Krebse in unseren Gewässern her, die Nahrungskette für andere Tiere wird so unterbrochen.“ So schwer es dem promovierten Biologen fällt – als einzigen Ausweg sieht er „die gezielte Bejagung wie in den Niederlanden“, also mit hauptamtlichen Nutria-Jägern.

Viele Invasoren kommen im Gepäck von Reisenden

Während in einigen Kreisen niederländische Profis Nutrias jagen dürfen, poche man bei in Deutschland auf Regularien und Vorschriften, Jagd- und Revierrechte. Reichmann fordert: „Untere Naturschutzbehörde, Wasserverbände und Landesregierung müssen endlich handeln. Bisherige Maßnahmen haben ja nicht gefruchtet.“

Neben den aus Südamerika stammenden Nutrias, die vor Jahrzehnten aus Gehegen ausgebüxt sind oder aussetzt wurden, verändern noch andere invasive Arten die Natur. Reichmann nennt Waschbären, Sonnenbarsche und vor allem ausgesetzte exotische Schmuckschildkröten. Am liebsten sähe Reichmann Handel und Haltung von Exoten, nicht nur von gefährlichen Gifttieren, verboten. Er appelliert an Aquarianer, Terrarianer und Teichbesitzer, „bloß keine lästig gewordenen Pflanzen und Tiere in die Natur zu entlassen“. Die Schäden seien unkalkulierbar, auch eigentlich harmlose Goldfische äßen anderen Wassertieren die Nahrung weg.

Viele Invasoren kommen im Gepäck von Reisenden oder mit internationalen Frachttransporten, Schiffscontainern und Ballastwasserbehältern etwa, in unsere Region, so gesehen wirkt sich die Globalisierung auch auf den Naturpark Schwalm-Nette aus. Die Chinesische Wollhandkrabbe beispielsweise dringe von Nordseehäfen bis in die Nebenflüsse von Rhein und Maas vor: „Die Tiere haben, wie übrigens Nutrias auch, hier kaum natürliche Fressfeinde“, sagt Reichmann.

Wenn überhaupt, dauere es, bis die Natur auf die Eindringlinge reagiere – wie etwa beim Buchsbaumzünsler aus Ostasien. Jahrelang machte er ungehindert Gehölzen den Garaus. Erst allmählich steht er laut Reichmann bei Meisen, Finken, Sperlinge und Wespen auf dem Speiseplan.

Bei einer alten Weide nahe der Biologischen Station bleibt der Biologe stehen: „Hier drin hat letztes Jahr ein Mittelspecht gebrütet.“ Doch auch in der Vogelwelt seien Veränderungen spürbar: Invasoren wie Nilgänse machen sich breit, heimische Wasservögel verschwinden, auch wegen der Zerstörung ihrer Lebensräume. Zudem spiele der Klimawandel eine Rolle: Während der Bienenfresser aus dem Süden an den Niederrhein kommt, wandert eine andere Art Richtung Norden ab, weil es ihr hier zu warm wird: „Wann hört man bei uns noch einen Kuckuck rufen?“, fragt Reichmann?