Der alte, lange Lambert
Der Turm in Nettetal hat im Laufe der vergangenen Jahrhunderte viel erlebt. Vom Bauwerk aus ist unter anderem Venlo zu sehen.
Nettetal. Als Goethe ein Star wurde, stand er schon 400 Jahre lang da. „Das muss man sich mal vorstellen, welche Zeiträume der Turm überstanden hat“, sagt Rolf Ingenrieth und klopft, beinahe zärtlich, auf einen mächtigen Holzbalken. Von hier oben im Lambertiturm in Nettetal-Breyell lässt er den Blick weit über die Niederrhein schweifen, erzählt dabei von der Geschichte des ebenso merkwürdigen wie imposanten Bauwerks.
hoch hinaus (8)
Wäre alles nach Plan gelaufen, stände der Turm längst nicht mehr. Hätten nicht Flüchtlinge sich dort verstecken können. Könnte nicht Rolf Ingenrieth diese Anekdote zum Besten geben: „Die alte Lambertus-Kirche war zu klein geworden, deshalb beauftragten kurz nach 1900 die betuchten Breyeller einen Krefelder Abbruchunternehmer mit dem Abriss.“
Schließlich stand nur noch der Turm: „Für den wollte der Krefelder noch mal Geld, aber die Breyeller hatten keins mehr.“ Und so blieb der Lambertiturm aus Geldnot gegenüber der neu gebauten Lambertus-Kirche stehen, wurde zum schützenswerten Denkmal, wie es in der Region laut Ingenrieth „kein ähnliches gibt“. Dass er einmal ein Kirchturm war, belegt ein Blick von oben auf den Lambertimarkt: Mit helleren Steinen ist dort die Stelle des ehemaligen Altarraums markiert.
Ansonsten ist von dort oben vor allem eins zu sehen: Grün. „Wirklich bemerkenswert, wie grün der Niederrhein hier in Nettetal und Umgebung ist“, sagt Rolf Ingenrieth, „Wiesen und Wälder, hier der Grenzwald, da die Hinsbecker und Süchtelner Höhen.“
Auf den zweiten Blick — wenn nicht Regen und die verstaubten Scheiben die Sicht erschweren — zeigt sich hinter den grünen Aussichten im Westen Venlo, auf der anderen Seite Viersen-Dülken und am Horizont der Borussia-Park in Mönchengladbach. Einzigartige Aussichten, obwohl das alte Gemäuer mit seinen gerade mal 32 Metern von den meisten Kirchtürmen überragt wird.
„Aber unser Turm steht ziemlich zentral und günstig, darum ist die Aussicht so gut“, erklärt Ingenrieth. Der 62-jährige Lehrer gehört dem Vorstand des Fördervereins Alter Kirchturm an, der sich um den Erhalt des Bauwerks kümmert.
Aus dem 14. Jahrhundert stammt der Lambertiturm, überstand Brände, überlebte ein angebautes Rathaus und ein Kirchenschiff. Der Alte Lambert diente Verfolgten des Naziterrors als Versteck, denn die Zu- und Eingänge erschließen sich nur Eingeweihten. So führt das untere Portal zu einem Gewölberaum ohne Durchgang nach oben. Zur Eingangstür ins Turminnere auf der anderen Seite geht’s heute über eine neue stählerne Außentreppe. Innen altes Mauerwerk, viel Holz, urig — ideal für Lesungen und Ausstellungen.
Eine Stiege führt schließlich ganz nach oben. Hier steht dann Rolf Ingenrieth bei Führungen und erzählt stolz, dass der Lambertiturm zu Goethes Zeit schon 400 Jahre auf dem steinernen Buckel hatte.