Interview mit Christian Küsters, Bürgermeister in Nettetal „Das Wohnen im Grünen wird attraktiver“

Nettetal · Nettetals grüner Bürgermeister blickt positiv in die Zukunft. Oben auf seiner Agenda steht die Klimaoffensive.

Christian Küsters war vier Jahre lang Ortsvorsitzender der Grünen in Nettetal, bevor er als Kandidat der Ampel zum Bürgermeister gewählt wurde.

Foto: Stadt

(hb) Nettetal will in diesem Jahr in die Klimaoffensive gehen. Hilft Ihnen dabei die Berliner Ampel-Koalition?

Christian Küsters: Wir müssen dringend was tun, um bei den Energiegewinnung weniger CO2 auszustoßen. Der ,Wattbewerb‘ mit dem Ausbau der Photovoltaik geht weiter, bisher hat ihn noch keine Teilnehmer-Stadt gewinnen können. Aber wir müssen auch auf Windenergie setzen. Und da vermisse ich den Rückenwind von Bund und Land. Bauministerin Scharrenbach hält am 1000-Meter-Abstand von Wohnbebauung zu Windenergieanlagen fest. Das eröffnet uns in Nettetal wenig Möglichkeiten, geeignete Stellen zu finden, auf denen neue Windräder aufgestellt werden können.

Aber die Kommunen sollen eine größere Freiheit erhalten, diese Abstände zu unterschreiten.

Küsters: Die Stadträte können vielleicht so etwas beschließen. Aber schneller wird man damit nicht. Jede Hürde verlangsamt den Planungsprozess und damit die Energiewende.

Bisher wurden in Nettetal nur wenige Windenergieanlagen aufgestellt. Sind neue Flächen dafür vorgesehen?

Küsters: Es gibt eine Vorrangfläche zwischen Breyell und Kaldenkirchen, Windräder stehen in Hinsbeck und Schaag, zwischen Lobberich und Süchteln sowie Kaldenkirchen und Breyell gibt es in begrenztem Maß Möglichkeiten.

Gibt es in der Politik überhaupt eine Bereitschaft für mehr Windenergie?

Küsters: Die Klimaoffensive wurde ja einstimmig beschlossen. Ich glaube, alle sehen die Notwendigkeit, etwas für Windenergie zu tun. Am Ende muss es aber zum Schwur kommen.

Oft kommt der Widerstand mehr aus der Bevölkerung.

Küsters: Wir müssen die Bürger mehr beteiligen, nicht nur an den Entscheidungsprozessen, sondern auch finanziell. Bei Windenergieanlagen kann man über Bürgerfonds die Wertschöpfung vor Ort halten. Auch die Stadtwerke sind einzubinden, damit wir regional erzeugten Strom auch lokal vermarkten können. Aber als erstes müssen die Besitzer der Flächen überzeugt werden, Windräder zuzulassen.

Welche Themen werden uns außer der Klimaoffensive im Jahr 2022 maßgeblich begleiten?

Küsters: Ich denke, in erster Linie das Mobilitätskonzept und das integrierte Stadtentwicklungskonzept für Kaldenkirchen (ISEK). Beim Mobilitätskonzept werden wir erste Maßnahmen in diesem Jahr bereits umsetzen können, leichter als beim ISEK, wo die Maßnahmen länger geplant werden müssen, um in die Förderung zu gelangen. Beide Themen werden uns 2022 und 2023 begleiten.

Was dabei ist für Sie persönlich wichtig?

Küsters: Um was fürs Klima zu tun, müssen wir das Radfahren attraktiver machen. Das gelingt nicht nur durch Fahrradstraßen, sondern auch durch Tempo 30 in Straßen, in denen keine getrennten Wege für Autos und Räder möglich sind.

Und was man in den Ortskernen an CO2 spart, wird dann auf der A61 um so mehr ausgestoßen?

Küsters: Ja, es stimmt. Vor zehn Jahren hat es auf der Autobahn weniger Verkehr gegeben. Inzwischen ist der Lückenschluss an das Autobahnnetz der Niederlande Alltag. Aber wird der Verkehr endlos zunehmen? Mir macht Mut, dass während Corona ein Umdenken eingesetzt hat, wieder mehr in Europa zu produzieren, statt es um die halbe Welt zu schippern. Und mit dem Unternehmen Cargobeamer am Güterbahnhof in Kaldenkirchen, das Lkw auf die Schiene setzt, haben wir einen weiteren Pluspunkt. Die Pläne liegen jetzt bei der Bezirksregierung, wir müssen jetzt das Verfahren abwarten.

Müsste dazu nicht erst die Zweigleisigkeit zwischen Kaldenkirchen und Boisheim kommen?

Küsters: Zuerst muss rechts­rheinisch der Ausbau der Betuwe-Linie fertig sein, bevor der Ausbau in Kaldenkirchen beginnen kann.

Wenn das Wertstoff- und Logistikzentrum des Kreises in Nettetal-West kommt, wird dann der Verkehr in Kaldenkirchen weiter zunehmen?

Küsters: Die Müllfahrzeuge sollen den Weg über die Autobahn nehmen. Da sind wir in guten Gesprächen mit dem Abfallbetrieb Kreis Viersen. Letztlich müssen wir schauen, wie es in der Praxis wird. Ich denke, der Verkehr wird verkraftbar bleiben.

Wird es in diesem Jahr bei der Sanierung der Werner-Jaeger-Halle weiter so still bleiben wie in 2021?

Küsters: Auf keinen Fall. Die Ausschreibungen laufen und ich hoffe, dass wir Mitte des Jahres mit den Bauarbeiten anfangen können. Es war sehr viel Planung notwendig, es gibt neue Technik. Ich denke, Ende 2023, spätestens Anfang 2024 sind wir fertig und es gibt ein tolles Wiedereröffnungsprogramm.

Werden die Kosten aus dem Ruder laufen?

Küsters: Natürlich haben wir auf dem Sektor überall mit steigenden Kosten zu tun, das ist kein Nettetaler Phänomen. Aber konkrete Zahlen kann ich heute noch nicht sagen.

Werden steigende Baukosten den Wohnungsmarkt weiter verschärfen?

Küsters: Wir merken weiter einen Zuwachs, einen Zuzug von auswärts. Nettetal braucht mehr Wohnungen. Aktuell sind wir dabei, ein Baulückenkataster zu erstellen. Gebaut wird in Kaldenkirchen am Juiser Feld, am Trappistenweg, am Hohlweg in Breyell, am Krugerpfad in Hinsbeck und am Raher Feld in Schaag. Innerstädtisch steht in Lobberich das leerstehende Pierburg-Gelände an. Bei Pierburg oder Rheinmetall ist man mit einem Projektentwickler im Gespräch. Aber da dort Wohnungen entstehen sollen, muss gewährleistet sein, dass der Betrieb von Pile Fabrics weitergehen kann. Das Unternehmen, das die alten Rokal-Hallen übernommen hat, setzt Webstühle in Schichtbetrieb ein. Das muss mit Wohnbebauung abgestimmt sein. Auf dem 100 000 Quadratmeter großen Areal können nicht nur Ein- und Zweifamilienhäuser gebaut werden, sondern auch Mehrfamilienhäuser.

Soll die Stadt Nettetal denn weiter wachsen?

Küsters: Wachsen ist für mich kein Selbstzweck. Gut ist, wenn die Einwohnerzahlen nicht sinken, sondern leicht steigen und wir das Bevölkerungslevel halten können, um unsere Infrastruktur mit Kitas und Schulen auszulasten.

Ist das in Corona-Zeiten erprobte Homeoffice eine Wachstumsoption für Nettetal?

Küsters: Das zu beurteilen, dazu ist es vielleicht noch zu früh. Der Zuzug von Auswärtigen hat viel mit den hohen Mieten in den Großstädten zu tun. Natürlich auch mit dem hohen Erholungswert in unserer schöner Natur. Aber an den Pendlerströmen hat sich bislang noch nur wenig geändert. Ich kann mir schon vorstellen, dass mit Homeoffice, wo man vielleicht nur noch einmal in der Woche einen Tag im Büro anwesend sein muss, das Wohnen im Grünen attraktiver wird. Aber auch die Wohnungen müssen dafür stimmen, plus andere Faktoren wie Einzelhandel, Gastronomie oder ärztliche Versorgung.

Und im Rathaus selber: Sind Sie Pioniere des Homeoffice?

Küster: Ich habe den Eindruck, dass die Mitarbeiter das Angebot an mobilem Arbeiten seit einem Jahr sehr gut nutzen. Aber es gibt Bereiche wie den Nettebetrieb oder den Planungsbereich, die einen hohen Austausch und die Nutzung der technischen Infrastruktur im Rathaus erfordern. Wir haben mit der Umstellung viel Erfahrung gesammelt. Aktuell digitalisiert die Bauaufsicht alle Bauakten, um so auch von zu Hause aus arbeiten zu können. IT-mäßig passiert sowieso sehr viel im Rathaus. Im Sommer soll der Relaunch unserer Homepage erfolgen. Das Onlinezugangsgesetz macht viele Vorgaben, welche Aufgaben der Bürger online erledigen oder wie er Anträge ausfüllen kann. Da arbeiten wir mit dem Kommunalen Rechenzentrum Niederrhein zusammen.

Und was wünschen Sie sich persönlich im neuen Jahr?

Küsters: Nach zwei Jahren Corona wünschen sich alle mehr Normalität wieder. Ich freue mich auf Veranstaltungen wie „Genuss am See“ Ende August oder eine Neuauflage vom Open-Air-Kino am See.