Aus den Schulen in Nettetal Erinnerung an die fünf Shoa-Kinder aus Nettetal

Nettetal · Neu gedruckte Poster erinnern in der Gesamtschule an das Schicksal von drei jüdischen Kindern, die im Gebiet der heutigen Stadt Nettetal geboren, in der NS-Zeit deportiert und später umgebracht wurden.

Schulleiter Leo Gielkens (l.) und Lehrerin Julietta Breuer (r.) halten die Erinnerung wach. In der Mitte Oliver Gehse, Lionsclub.

Foto: Heribert Brinkmann

(hb) Erst stirbt sein Vater im Getto, zwei Monate später seine Mutter. Völlig allein wird der zwölfjährige Erich Sanders in den Tod geschickt. Er erstickt qualvoll an Autoabgasen in einem der „Gaswagen“. Es ist das Verdienst der Gesamtschule, die Erinnerung an die Shoa-Kinder aus dem heutigen Stadtgebiet von Nettetal wachzuhalten. Was jahrelang erarbeitet wurde, ist jetzt mit Texten und Fotos auf sechs mobilen Plakatwänden, sogenannten Roll-ups, gedruckt worden. Sie stehen seit Freitag im Eingangsbereich der Schule, sollen aber auch an andere Schulen ausgeliehen werden.

Erinnert wird an drei jüdische Kinder, die in Nettetal geboren wurden und aufwuchsen, bis sie im Zuge der Rassenpolitik der Nationalsozialisten deportiert und umgebracht wurden: Werner Klaber, Erich Sanders und Hedi Lion. Über die Schicksale von zwei weiteren Kindern ist noch zu wenig bekannt: Es sind Ruth Harf aus Kaldenkirchen und Bruno Zanders aus Breyell.

Die neuen Text- und Bild-Tafeln hat eine Spende des Lionsclubs Nettetal ermöglicht. Präsident Oliver Gehse hat 1000 Euro an Julietta Breuer, als Geschichtslehrerin auch Koordinatorin für Erinnerungskultur an der Gesamtschule, übergeben. Am Freitag konnte Gehse die fertigen Tafeln besichtigen.

Für Schulkinder ist der lokale Bezug ein Schlüssel zum Verständnis. Direkt vor der Schule liegt ein Acker, der einst der Familie Klaber gehörte. Als an der Bietherstraße die Synagoge gebaut wurde, spendete Großvater Jacob das Grundstück davor. Werner Klaber wurde 1936 in Aachen geboren, er lebte mit seinen Eltern an der Josefstraße 66 in Breyell. Als er drei Jahre alt war, wurde sein Vater Fritz verhaftet und kam ins KZ Dachau. Er konnte in die Niederlande entkommen. Mutter Ilse und Werner wurden im Dezember 1941 nach Riga deportiert und dort 1942 ermordet.

Erich Sanders wurde im Mai 1930 in Kaldenkirchen geboren. Sechs Jahre lang lebte er an der Bahnhofstraße in Kaldenkirchen, dann zog die Familie zu den Großeltern nach Süchteln. 1939 wurde die Familie gezwungen, in ein Judenhaus in Düsseldorf umzuziehen. Im Oktober 1941 wurde die Familie von dort ins Getto von Litzmannstadt (Lodz) deportiert. Nachdem dort seine Eltern ums Leben kamen, wurde das Kind nach Chelmno gebracht und in einem „Gaswagen“ erstickt.

Hedi Lion, 1932 in Kaldenkirchen geboren, besuchte den katholischen Kindergarten Brigittenheim und zuerst die evangelische Volksschule, dann die Jüdische Schule in Mönchengladbach. Auf dem Weg zum Bahnhof wurde Hedi von anderen Kindern oft verhauen. 1941 wurde die Familie nach Riga deportiert. Als Mutter Else am 2. November 1943 von der Arbeit ins Getto zurückkommt, ist Hedi abgeholt. Ihre Mutter überlebt und hat stets das Foto ihrer kleinen Hedi mit der großen weißen Schleife im Haar bei sich. Ihre Lebensgeschichte hat der Kaldenkirchener Frank Kauwertz in seinem Buch „Die drei Eisheiligen“ geschildert.

Jede Stadt hat eine Anne Frank. Auf allen Tafeln ist dieser Satz zu lesen. Nettetal hat seine fünf Shoa-Kinder. Von keinem gibt es ein Tagebuch. Die Gesamtschule versucht das Andenken an diese Kinder zu bewahren.