Reiterverein „Lützow“ in Nettetal-Hinsbeck Als Metzger das Rennpferd zerlegten
Nettetal-Hinsbeck · Pferderennen in Nettetal? Ja, das gab es einst in Hinsbeck. Es ging bei den Reitern aber nicht ganz so etepetete zu wie in der britischen High Society an Renntagen in Ascot. Geschichten von Schlachtung auf der Rennbahn, Besäufnissen und Pfahl-Pflicht.
Heute mutet es vielleicht etwas seltsam an: Der erste Hinsbecker Sportverein nicht etwa Fußball oder sonst einen Sport, der einmal als Volkssport populär werden sollte. Der erste Sportklub der Gemeinde wurde am 6. November 1898 gegründet – es war der Reiterverein „Lützow“ und er war mit zunächst 26 Mitgliedern auch ziemlich exklusiv. Präsident wurde Gerhard Josten vom Königshof. Wie bei anderen Vereinen dieser Zeit war auch dieser auf die körperliche Ertüchtigung von Pferd und Reiter im Hinblick auf das Militär ausgerichtet.
Von Beginn an wurden regelmäßig Rennen zu Pfingsten auf den Hinsbecker Höhen durchgeführt. 1906 gehörten dazu Trabreiten und Rennen, bei denen zwischen Kaltblütern und Reitpferden unterschieden wurde. In Erinnerung blieb dabei ein Rennen der Kaltblüter, bei dem eines der Pferde auf der Bahn zusammenbrach und verendete. Kurzerhand zerlegten Metzger das Pferd noch auf der Bahn im Kreis der Besucher – Fleisch war damals wertvoll. Nach rund 30 Minuten war das Pferd zerteilt und die Rennen konnten fortgesetzt werden.
Mit Beginn des Ersten Weltkrieges wurden die Pferde vom Militär konfisziert und die Vereins-Aktivitäten eingefroren. 1921 erfolgte die Wiedergründung als Renn- und Reiterverein mit dem Zweck der „Förderung der Traberzucht“. Wieder durchgeführte Turniere umfassten sieben Rennen. Dazu wurden die Hinsbecker Höhen abgesperrt, für die Umzäunung von Tribüne und Rennplatz musste jedes Mitglied fünf Pfähle von 1,5 Meter Länge mitbringen. Zum Rennplatz kam man über zehn Eingänge mit Kassen „bei Moortz (heute Oberstraße), Verbeek (Meiners, Oberstr.), Görtz (Schäfer Peters, Höhenweg), an der Sandgrube, am Weg aus dem Tiefenthal, am Weg von der Trinkhalle (alter Galgenberg), Kaiser-Wilhelm-Allee, Bonners (Heide), Vierlinden und am Weg vom Glabbach“. Man hatte Tribünen und Totalisator (Wettbüro) aufgebaut und einen Getränkewagen aufgestellt, dazu gab es ein Konzert des Musikvereins.
Die Renntage waren Spektakel, wurden von 500 bis 600 Zuschauern besucht. Vereine aus Leuth, Wankum, Wachtendonk und Grefrath beteiligten sich an den zwischen 1.200 und 3.000 Meter langen Rennen, die um ein Trabreiten sowie ein „Krickenbecker Hürdenrennen“ erweitert waren. Für Letzteres hatte Josef Graf von Schaesberg den Ehrenpokal gestiftet.
Einer der Höhepunkte für den Verein war die Ausrichtung des Kreisreitturniers 1934, Vorsitzender des Kreisreiterverbandes war seit 1931 der Hinsbecker Willi Ginkes. Es sei ein imposantes Bild, als mehr als 100 Reiter geschlossen in Uniform vom Hinsbecker Marktplatz zu den Höhen zogen, berichtete die Presse. Geboten wurden Dressur, Flachrennen über Strecken ohne Hindernisse, Einspänner-Wagenrennen, Patrouillenspringen (Zweierspringen), Hürdenrennen und Jagdspringen über zehn bis zwölf Hindernisse von bis zu 1,10 Metern Höhe.
Die Mitglieder verstanden auch zu feiern. Wie man dem Protokollbuch entnehmen kann, hatte man bei einem Polterabend im Glabbach „gesoffen wie kostenlos“. „Im Laufe der Woche haben sich alle Mitglieder wieder freiwillig zu Hause eingefunden, wenn auch anderen morgens ‚Einer‘ sich in Nachbars Kornfeld ausruhte, ‚Einer’ sein Schlafzimmer sehr verändert fand, daß es ihm ganz fremd schien“.
Nach dem Zweiten Weltkrieg trafen sich am 10. März 1947 einige Interessierte zur Neugründung des Reitervereins „Lützow“. Auf Wunsch der Mitglieder stellte sich der 72-jährige Gerhard Josten nochmals für ein Jahr als Vorsitzender zur Verfügung und wurde einstimmig gewählt. Damit konnte der Verein im darauffolgenden Jahr neben seinem 50-jährigen Bestehen gleichzeitig das goldene Jubiläum von Josten als Vorsitzender feiern. Beim Fest wurde er zum Ehrenvorsitzenden und Willi Ginkes zum Vorsitzenden gewählt. Der geplante große Renntag fiel jedoch wegen der Währungsreform kurzfristig aus. Damit zum Fest Bier gereicht werden konnte, musste jedes Mitglied vorab 20 Pfund Gerste anliefern.
Auch die sportlichen Aktivitäten begannen wieder, wobei sich insbesondere der neue Reitlehrer Leo Vriens, später Hinsbecker Bürgermeister und Kreistagsabgeordneter, hervortat. So nahm man an Turnieren und Fuchsjagden der umliegenden Vereine aus Leuth, Wankum, Wachtendonk, Grefrath, Lobberich, Breyell, Kaldenkirchen, Waldniel, Straelen und Dülken teil und führte eigene Veranstaltungen durch. Diese umfassten zum Beispiel zwischen 1949 und 1954 Flach-, Trab- und Hindernisrennen, Dressur und Jagdspringen, Eignungsprüfungen für Wagenpferde sowie ein „Schloss Krickenbecker Jagdrennen über 3.000 Meter“. Äußerst beliebt waren auch Fuchsjagden.
Wegen neuer Sicherheitsrichtlinien der Versicherungen, die die kleinen Vereine befolgen konnten, fielen ab 1956 die Reit- und Springveranstaltungen aus. Der Verein beschränkte sich nun auf die Teilnahme als Reiterstaffel bei Ortsfeiern – etwa beim Besuch des Bischofs, beim Abholen neuer Glocken und Vereinsjubiläen – und man stellte einen Zweispänners bei Jubiläen wie Goldene und Diamantene Hochzeiten. Die Zahl der Aktiven ging stetig zurück. Im April 1970 löste sich der Klub auf – nach einem letzten Reiterball im Lokal Josten.