Protestzug durch Viersen Wie der Pflegenotstand Menschen mit Behinderungen behindert
Viersen · Mit einer Premiere läutet das Bündnis „Eine Gesellschaft für alle!“ den traditionellen Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung ein. Die Aktion am 4. Mai startet mit einem Protestzug.
Alle Menschen möchten selbstbestimmt leben. Doch nicht für jeden Menschen ist dies eine Selbstverständlichkeit. Für Menschen mit einem Handicap sind viele Dinge nicht alltäglich. Um selbstbestimmt leben zu können, brauchen sie Unterstützung von Fachkräften. Und genau an diesem Punkt hapert es oft. Der Fachkräftemangel macht auch vor dem pflegerischen und sozialen Bereich nicht halt. „Menschen mit Behinderung möchten ganz normal am Leben teilnehmen. Doch das geht teilweise ohne Unterstützung durch Fachkräfte nicht“, sagt Barbara Shahbaz, Geschäftsführerin der Kreisgruppe Viersen vom Paritätischen NRW.
Fehlt diese Hilfe, kann der Alltag nicht gemeistert werden und eine Teilhabe ist nicht möglich. Die Selbstbestimmung ist nicht gegeben. Vor diesem Hintergrund hat sich das Bündnis „Eine Gesellschaft für alle!“, der Arbeitskreis für die Behindertenfragen in Viersen unter der Federführung des Paritätischen, dazu entschlossen, den Viersener Protesttag im Rahmen des europäischen Protesttages zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung erstmalig anders zu starten. „Wir werden unsere Schirmherrin, Bürgermeisterin Sabine Anemüller und Jens Ernesti, Dezernent für Soziales, Gesundheit und Arbeit im Kreis Viersen, am 4. Mai um 10 Uhr am Viersener Stadthaus abholen und von dort in Form eines Protestzuges zum Sparkassenvorplatz ziehen.
Jeder Bürger ist eingeladen mitzuziehen“, informiert Christian Rother von der Lebenshilfe Kreis Viersen. Für den Protestzug hat der Arbeitskreis verschiedene Plakate gestaltet mit Aussagen wie „Ohne Fachkräfte keine Perspektiven“. Der eigentliche Protesttag unter dem Titel „Viel vor für Inklusion! Selbstbestimmt leben – ohne Barrieren!“ findet auf dem Sparkassenvorplatz ab 11 Uhr statt. Die dortige Aufstellung ist ebenfalls erstmalig anders angeordnet, um noch besser mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Denn gerade der Fachkräftemangel im sozialen und pflegerischen Bereich ist ein Thema, das bewegt. „Jeder Mensch kann von einer Behinderung oder einer chronischen Erkrankung getroffen werden und in genau die Situation rücken, in der sich Menschen mit Behinderung bereits befinden“, sagt Petra Zohlen vom KoKoBe Kreis Viersen.
Was es bedeutet, unter dem bereits bestehenden Mangel an Fachkräften betroffen zu sein, verdeutlicht Josef Heckers, der selber ein körperliches Handicap hat und dessen Frau im Rollstuhl sitzt, an einem einfachen Beispiel. „Die Lebenshilfe feiert ihr 60-jähriges Bestehen. Einfach eine Abendveranstaltung zu besuchen, ist uns nicht möglich, da meine Frau bereits um 18 Uhr die Pflege für die Nacht erhält. Das Personal ist nicht da, um für solche Dinge spontan verändert einspringen zu können. Für einen Menschen mit Behinderung gibt es viele Einschränkungen oder es muss vieles aufwendig organisiert werden, weil es an Personal fehlt“, sagt Heckers.
Weil es an Fachkräften mangele, würde zunächst die Pflege an sich vorangestellt. Das wiederum führe in anderen sozialen Bereichen zu Einschränkungen, weil die wenigen Mitarbeiter nicht alles leisten könnten, fügt Nicole Crom, Geschäftsführerin von Kindertraum an. Es ginge auch nicht, dass bei vielen Dingen einfach von Seiten der Verantwortlichen versucht würde, sie in den Ehrenamtssektor zu verlagern. Das Ehrenamt trüge eh schon eine solch gewaltige Menge, dass Mehrbelastungen nicht möglich seien. Ohne das Ehrenamt würde schon jetzt vieles gar nicht mehr laufen, betont Shahbaz.
Gute Arbeit gebe es nicht umsonst. Dabei sei es wichtig, dass die Refinanzierung bei den Trägern vorliege, sagt Rother. Fachkräfte sind indes da, nur nicht vor Ort. „Laut einer Studie handelt es sich bei 50 Prozent der Fachkräfte für Pflege und soziale Betreuung in den Niederlanden, Belgien und Luxemburg um Deutsche. Sie wandern aufgrund der besseren Bezahlung und der regelmäßigen Arbeitszeiten ab“, sagt Regina Küppers, Vorstandsmitglied bei der Lebenshilfe und Vorsitzende beim Paritätischen.