Sicherheits-Wächter im Netz

Beim „Cyber-Mobbing“ gibt es keine Regeln. Viersener Lehrer wollen das ändern.

Viersen. Wenn Björn Dexheimer und Stefan Marker mitten in der Unterrichtsstunde das Klassenzimmer betreten und einen Schüler bitten, mit ihnen zu kommen, kann dies im schlimmsten Fall in einem Disziplinarverfahren enden.

Wenn er Glück hat, kommt der Schüler mit einem Elterngespräch davon. Der Grund: Er hat jemandem beschimpft, lächerlich gemacht, bloßgestellt, belästigt. Und das nicht auf dem Schulhof, sondern vor Millionen von Zuschauern — im Internet.

„Wenn mein Kind Probleme im Internet hat, ziehe ich den Stecker.“ Eine Einstellung, welche die beiden Lehrer des Erasmus von Rotterdam Gymnasiums in Viersen nicht selten zu hören bekommen. An ihren Informationsabenden klären sie Eltern darüber auf, was ihre Kinder im Internet tun, und was dabei schief gehen kann. Aktuelle Noten, Tratsch, Urlaubsfotos — was früher auf dem Schulhof mit den Freunden besprochen wurde, wird heute im Internet mitgeteilt.

Das Gymnasium setzt sich als Pilotschule in Zusammenarbeit mit der Polizei seit 2006 für mehr Sicherheit in der Online-Kommunikation ein. „Im Cyber-Mobbing gibt es keine Regeln“ erklärt Dexheimer. So sind die meisten Betroffenen völlig überrascht, wenn sie plötzlich online Beleidigungen erhalten oder auf Fotos im Internet bloßgestellt werden.

Ursprünglich beschäftigte sich das Projekt mit sexuellem Missbrauch in Chats und Foren. Bei einer Umfrage an der Schule im Jahr 2006 stellten die Lehrer fest, dass viele Schüler im Internet mit anstößigen Nachrichten und Fotos belästigt worden waren, manchen wurde sogar ein Treffen angeboten.

„Wir möchten den Kindern klarmachen, dass Nicknamen wie ,Tina13’ gefährlich sein können, und dass Eltern darauf achten müssen, dass keine wichtigen Informationen ins Internet gestellt werden.“ Gibt man zu viel von sich bekannt, wie etwa Alter oder Adresse, kann man sich schnell zur Zielscheibe von Belästigung und Mobbing machen.

Vor allem eine gute Kommunikation zwischen Eltern und Kindern ist notwendig. Denn SchülerVZ, einer der beliebtesten Treffpunkte der Kinder im Internet, verwehrt Erwachsenen den Zugang zur Plattform, und macht sich somit in den Augen der Lehrer zum Verantwortungsträger.

Die Meldefunktion bei Mobbing und Verstößen gegen den Jugendschutz, über die das Team von SchülerVZ erreichbar sein soll, reicht ihrer Meinung nach nicht aus. Stefan Marker und Björn Dexheimer mussten schon öfter die Erfahrung machen, dass ein gemeldetes Mobbing-Profil erst nach zweieinhalb Wochen aus dem Netz genommen wurde. „Dabei sind zweieinhalb Stunden schon zu viel.“

Ist ein peinliches Foto oder ein böses Gerücht einmal im Netz, steigt mit jeder Minute die Zahl derer, die es sehen und verbreiten können. Geschwindigkeit ist wichtig. Melden Schüler dem Security-Team unter einer E-Mail-Adresse anonym Mobbing-Fälle, heißt es schnell handeln.

Doch bei all den Gefahren, die ein Netzwerk wie SchülerVZ mit sich bringt, wollen die Lehrer nicht mit erhobenem Zeigefinger predigen. Die Pädagogen wollen als Vertrauenspersonen helfen. Doch sie sind meist nicht die ersten Ansprechpartner, bei denen Jugendliche in solchen Fällen Hilfe suchen. Auch auf die anfänglichen Bemühungen Dexheimers reagierten die Schüler kritisch und gründeten auf SchülerVZ die Gruppe „Herr Dexheimer soll aus meinen Profilen bleiben“.

Dabei geht es dem Französischlehrer nicht um private Informationen der Schüler, sondern um ihren Schutz. „Ich kann auch damit leben, wenn jemand als Hassfach Französisch angibt.“ Unter dem Motto „Let’s fight it together“ („Gemeinsam dagegen kämpfen“) soll diese Distanz überwunden werden. Ziel ist die Medienkompetenz aller Beteiligten. Denn wenn der Umgang der Kinder miteinander auch im Internet respektvoll ist, müssen sich Erwachsene nicht einmischen.

Dieses Ziel ist jedoch noch weit entfernt, und die Kenntnisse der Generationen sind unterschiedlich. Es gibt heute kaum ein Kind, das ohne Internet aufwächst, die älteren Generationen hingegen zeigen oft Ratlosigkeit, wenn es um Online-Welten geht.

Im Gegensatz zu Stefan Marker, der selbst Facebook nutzt, war es für Björn Dexheimer bisher uninteressant, sich dort anzumelden — bei einem LehrerVZ wäre er jedoch sofort dabei.