NRW Personalnot lässt Wirte verzweifeln
Kreis Viersen · Die Inzidenzen: niedrig. Das Wetter: bombig. Die Nachfrage: riesig. Die Gastronomiebetriebe im Kreis Viersen könnten jetzt viel Geld verdienen und Ausfälle des Lockdowns ausgleichen. Gäbe es da nicht ein Personalproblem.
Endlich wieder in den Biergarten, ins Restaurant oder in die Eisdiele: Nach der langen Corona-Zwangspause in der Gastrononomie wollen viele Gäste im Kreis Viersen bei dem guten Wetter wieder auswärts essen oder trinken. Das ist gut für die Wirte. Schlecht für sie ist, dass ihnen jetzt das Personal fehlt. „Ich kenne viele Kollegen, die jetzt ihren Betrieb nur zur Hälfte fahren können, weil sie keine Mitarbeiter finden“, sagt Ralf Dinter. Er ist nicht nur Chef im Waldgasthof Galgenvenn in Nettetal-Kaldenkirchen, sondern auch stellvertretender Vorsitzender der für den Kreis Viersen zuständigen Kreisgruppe Nordrhein des Deutschen Hotel- und Gastgewerbeverbands (Dehoga). Einzelne Wirte hätten massive Probleme, berichtet Dinter; sowohl Fachkräfte als auch Aushilfen in Service und Küchen würden fehlen.
Während der beiden Lockdowns sind die Beschäftigten aus der Gastronomie abgewandert, etwa zu den Corona-Testzentren, deren Personal je nach Ort bis zu 20 Euro Stundenlohn erhalten. „Ich kann die Menschen verstehen, ihnen fehlte die Sicherheit“, sagt Dinter.
Thomas Kolaric, Geschäftsführer der Dehoga-Kreisgruppe Nordrhein, nennt die Personalsituation im Gastgewerbe im Kreis Viersen „dramatisch“: „Ich habe noch nie so viele Stellengesuche in den sozialen Meiden gesehen wie zurzeit“, sagt er. Viele Wirte wüssten nicht, wo sie Personal finden sollten – und das zu einem Zeitpunkt, an dem sie eigentlich sehr gut zu tun hätten. Denn viele Menschen wollten nun gern nachholen, was sie Café-, Restaurant- und Kneipen-Besuchen während der Corona-Pandemie verpasst hätten.
Aber: Viele Beschäftigte hätten sich während der Gastro- und Hotel-Schließungen anders orientiert. Bei einer Dehoga-Umfrage berichteten mehr als 42 Prozent der Betriebe, dass ihre Mitarbeiter in andere Branchen abgewandert seien. Das ist für Kolaric nachvollziehbar, da sie ja weiterhin Rechnungen bezahlen müssten und ihnen eine Perspektive in der Gastronomie fehlte.
„Mokka“ am Rathausmarkt
kann abends nicht öffnen
Marcus Markardt, Geschäftsführer des „Mokka“ am Rathausmarkt in Viersen, kann mangels Personal sein Geschäft noch immer nicht so schnell wieder hochfahren, wie es die Nachfrage der Gäste eigentlich verlangt. „Das Problem war, dass wir während des Lockdowns unsere studentischen Hilfskräfte nicht in Kurzarbeit schicken konnten. Sie haben sich deshalb anders orientiert und andere Jobs angenommen“, berichtet er.
Allein während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 meldeten 286 gastgewerbliche Betriebe im Kreis Viersen Kurzarbeit an – das sind 63 Prozent aller Betriebe der Branche im Kreis. Die Zahl der kurzarbeitenden Köchinnen, Kellner und Hotelangestellten stieg auf 1267, berichtet Ina Korte von der Gewerkschaft NGG. Allerdings: Für Aushilfen gab’s kein Kurzarbeitergeld.
Zunächst öffnete das „Mokka“ diesen Monat nur eingeschränkt; dienstags bis samstags von 9 bis 15 Uhr. Abends öffnen? Unmöglich, mangels Personal. Das soll dann nächste Woche gelingen, kündigte Markardt an. „Ab 29. Juni öffnen wir dienstags bis samstags von 9 bis mindestens 22 Uhr und zusätzlich auch wieder sonntags von 9 bis 15 Uhr.“ Noch aber sucht der „Mokka“-Geschäftsführer weiter Aushilfen zum Anrichten und Abfüllen von Getränken, zur Unterstützung des Serviceteams und zum Abräumen von Geschirr.
Dinter ist sich sicher, dass die Gastronomie viele Aushilfen für immer verloren hat. „Sie werden nicht zurückkehren. Ihnen fehlt die Planungssicherheit.“ Auch er habe Sorge vor dem Herbst. „Was ist, wenn die Inzidenz-Werte erneut steigen: Muss dann die Gastronomie zum dritten Mal schließen?“ Deshalb fordert der Dehoga eine Perspektive: „Die Mitarbeiter brauchen, wie unsere Unternehmer, die Sicherheit, ihrer Arbeit auch bei höheren Inzidenzen weiterhin nachgehen zu dürfen“, sagt Haakon Herbst, Regionalpräsident der NRW-Dehoga. „Unsere Existenz darf nicht mehr nur von Inzidenzen abhängig sein.“ Die Politik müsse sich besser vorbereiten, damit es nicht mehr zu Schließungen kommt, fordert er vor der Hintergrund von „funktionierenden Schutz- und Hygienekonzepten der Branche“.
Auch in der Brachter Ratsstube von Heidi und Willy Hamers sucht man Verstärkung: „Jetzt, da wir wieder öffnen können, fehlt uns das Personal“, sagt Willy Hamers. Dies suche er umso dringender, wenn bald auch wieder größere Veranstaltungen in seinem Lokal möglich seien.
In der Branche mangelt
es auch an Nachwuchs
Ralf Dinter hat in seinem Lokal Glück gehabt: Bis auf eine 450-Euro-Stelle für die Küche sind bei ihm rund 20 Fachkräfte und Aushilfen an Bord geblieben, das Verhältnis sei sehr gut, man habe auch Kompromisse gefunden. „Zwei Azubis haben wir mit durchgezogen“, schildert der Kaldenkirchener Gastwirt. Diese seien jetzt in der Küche und im Service im Einsatz.
Denn perspektivisch droht der Branche eine weitere Zerreiß-Probe: Der Nachwuchs fehlt. „In der Corona-Pandemie haben viele Betriebe nicht ausgebildet“, sagt Koralic. Das würde in zwei bis drei Jahren Folgen haben. „Die Dimension können wir noch gar nicht abschätzen“, sagt er. Doch sicher sei: Viele Wirte werden dann erneut verzweifelt suchen – nach ausgebildeten Fachkräften.