Bühne: Kaiser fluchen, Romeos stürzen
Am Theater ist Improvisation alles: Über Pech und Pannen bei den Schlossfestspielen wird sogar Buch geführt – darin stehen herrliche Wetter- und sonstige Kapriolen.
Neersen. Bis vor drei Jahren ist Doris Thiel, Geschäftsführerin des Festspielvereins Neersen, bei wechselhafter Witterung noch vor der Vorstellung auf die zweite Etage des Schlossturms geklettert und hat nach Westen geschaut.
So sah sie das nächste Wolkenband auf die Freilichtbühne zukommen, ein Wetterbericht aus bester Sicht und erster Hand sozusagen. Heute klickt sie sich auf Regenradar im Internet und weiß weit im Voraus um jedes Tief, das die Vorführung beeinträchtigen könnte.
Wetter und Festspiele - das ist seit Jahrzehnten eine künstlerische Abhängigkeit. Regnerisch, schwülwarm, trocken, bewölkt, kühl - die Vorstellungsbücher, die in jeder Spielzeit wie Tagebücher geführt werden, sind wunderbare Wetterarchive.
Eintrag in einem der Vorstellungsbücher, die in jeder Spielzeit der Schlossfestspiele geführt werden
Und manch eine Panne hat mit Wetterpech zu tun. Doris Thiel: "Ich erinnere mich an Zank und Streit in Liebesdingen 1996. Unser Bühnenbild zeigte Venedig." Die bunten Holzpfähle waren aus Pappe.
"Es war so ein nasser Sommer. Wir mussten die Röhren permanent verkürzen, zu guter Letzt sind sie uns umgeknickt." Reparaturen waren nicht möglich, so Thiel, denn "zur Premiere reisen die Bühnenbildner ja immer ab".
Im kalten Jahr 2000, in Die schöne Helena, trugen die Schauspieler nur leichte Kostüme, einer nicht mehr als einen Lendenschurz: "Da konnte man schon Mitleid haben." Das gilt unter umgekehrten Bedingungen auch für das aktuelle Ensemble des kleinen Lord. Wollsakkos und lange Röcke bei über 30 Grad. "Marscherleichterung" gibt’s bei Hitze nicht.
Wind wehte 2002 das Haus im Zauberer von Oz von der Bühne. Tags drauf war es erneut windig, doch im Vorstellungsbuch hatte jemand notiert: "Haus mit Seil befestigt." Ein weiterer Eintrag zum Der Zauberer von Oz erinnert an Timo Riegelsberger, der mit der Vogelscheuchenstange in einer Aufführung nach hinten gekippt war. Notiz: "Er hat die Situation sportlich und schauspielerisch gut gemeistert."
Von solchen Pannen hat ein Zuschauer nichts mitbekommen. Er bekam diesen Eintrag ins Vorstellungsbuch: "Ein Herr in der letzten Reihe hat beständig geschlafen. Gündling fand dies unverschämt." Hans Jürgen Gündling war zwischen 1990 und 2002 fünfmal Schauspieler bei den Festspielen.
Eine andere Ermahnung betraf einen Werkzeugkasten. "Nach Aufbau auf Bühne zurückgeblieben. Bei letzter Kontrolle nicht bemerkt. Rüge von Frau Czar an Frau Czar." Ganz schön selbstkritisch, die erste Regie-Assistentin.
Glück gehabt gilt für den Eintrag, der die Aufführung der Dreigroschenoper im Juli 2003 betrifft. "Eine Krücke flog ins Publikum. Krücke kaputt. Zuschauerin heil geblieben."
Geflogen ist in der laufenden Saison auch schon ein Schuh. In der ersten Hauptprobe des Stücks Der Gott des Gemetzels flog der Schuh der Veronique in den Teich. Es stellte sich heraus, dass er Schauspielerin Claudia Dölker eine Nummer zu groß war.
Nicht immer tritt zur Aufführung das Ensemble an, das geprobt hat. Unvergessen ist der Sturz des Romeo vom Balkon 1987. Intendant Horst Gurski übernahm die Rolle des verletzten Markus Hoffmann. Und 2001 musste die Hauptrolle der Piaf kurzfristig umbesetzt werden, weil die eigentlich gesetzte Schauspielerin plötzlich zu viele Drehtermine fürs Fernsehen hatte. Annette Heimerzheim übernahm das Mikro.
Als Otto Edelmann sich 2003 den Mittelfußknochen brach, sprang der damalige Intendant Herbert Müller ein und spielte den Vater der Ronja Räubertochter.
Claudia Dölker stürzte im vorigen Jahr auf der Fahrt von der Probe nach Hause mit dem Rad und brach sich das Schlüsselbein. Für sie übernahm Verena Held die Rolle der Großmutter von Räuber Hotzenplotz. "Die Leute reagieren auf diese Dinge warmherzig und mit viel Verständnis," weiß Doris Thiel.
Wenig Verständnis hatte der spätere Intendant Neidhardt Nordmann, der schon 1992 Regie führte, mit ungeplanten Auftritten, vor allem dem einer einäugigen Katze. Doris Thiel erinnert sich: "Es war die Schlussszene von Hamlet. Tote liegen auf der Bühne. Das Licht geht aus, ein Spot geht an. Im Licht steht der Kater und stolziert über die Bühne."
Nordmann war ungnädig und verfügte, dass die Katze fortan vor jeder Vorstellung eingefangen werden musste. "Das bedeutete fast jeden Abend Stress, denn der Kater hatte das Spiel mit dem Futter als Köder ja bald raus."
Eine tierische Anekdote hat Doris Thiel noch: Bernd Hoffmann gab 1991 ein Gastspiel mit Strategie eines Schweins. "Sein Bühnenbild war ein Schweinestall." Nach der Vorstellung bat Hoffmann darum, die Planken des Bühnenbildes eine Zeit lang in Neersen verstauen zu dürfen.
Thiel: "Es fand sich eine alte Garage." Viel später fragte Hoffmann wieder nach. "Die Garage war in zwischenzeitlich entrümpelt worden - das Bühnenbild längst entsorgt." Es wurde ihm ersetzt. Da hat er Schwein gehabt.