Bürgermeister-Wahl 2020 in Tönisvorst Uwe Leuchtenberg: „Die Chancengleichheit ist an vielen Stellen in Tönisvorst zu verbessern“

Tönisvorst · SPD, Grüne und GUT schicken gemeinsam den Sozialdemokraten Uwe Leuchtenberg als ihren Kandidaten ins Tönisvorster Bürgermeister-Rennen. Wie er das Amt ausfüllen möchte, welche vorrangigen Ziele er hat, erzählt Leuchtenberg im Interview mit der WZ.

Uwe Leuchtenberg (62) ist der Einladung der WZ-Redakteure Kerstin Reemen und Tobias Klingen nach Kempen gefolgt. Der langjährige Ratsherr Leuchtenberg ist als Kandidat für das Bürgermeisteramt von SPD, Grünen und GUT per Mitgliederentscheid nominiert worden.

Foto: Reimann, Friedhelm (rei)

Politik mache ihm ernsthaft Spaß. Als „hochmotivierter“ Bürgermeister-Kandidat nimmt Uwe Leuchtenberg, 62, zum dritten Mal in Tönisvorst Anlauf auf das Amt. Wieder, aber nicht nur gegen Amtsinhaber Thomas Goßen (CDU). Als überparteilicher Kandidat von SPD, GUT und Grünen strebt Leuchtenberg eine andere Kommunikation mit dem Bürger an. Hinhören, mitnehmen, umsetzen. So wie die WZ das nun mit dem gut einstündigen Gespräch gemacht hat.

Herr Leuchtenberg, 2009 lagen im Bürgermeisterwahl-Ergebnis zwischen Ihnen als Herausforderer und Thomas Goßen 7,83 Prozent. 2014 hielt er Sie weiter auf Abstand: mit 11,07 Prozent. Wie geht’s diesmal aus? Ihre persönliche Hochrechnung, bitte.

Uwe Leuchtenberg: Da gibt’s keine persönliche Hochrechnung, da gibt es ein Ziel: Ich will die Mehrheit erreichen. Und wenn ich mir die Stimmen der GUT und der Grünen zusätzlich dazu vorstelle... Da sind die sieben oder elf Prozent locker zu schaffen. 50 plus X reicht ja.

Klappt das schon am 13. September, ohne Stichwahl?

Leuchtenberg: Das ist die Hoffnung. Wenn es nicht sofort passt, dann eben zwei Wochen später.

Sie haben sicherlich die Wahl 2014 analysiert. Wo haben Sie als BM-Kandidat Stimmen geholt, wo eingebüßt? In Vorst? In St. Tönis? In welchem städtischen Umfeld?

Leuchtenberg: Ich habe vielleicht tendenziell in einigen Teilen von St. Tönis weniger Stimmen geholt. Aber das ist jetzt nicht das Entscheidende. Ich mache keinen Schwerpunkt-Wahlkampf. Ich habe die ganze Stadt im Blick, mache also nicht einen Wahlkampf zum Beispiel in oder etwa für Laschenhütte, sondern für ganz Tönisvorst.

Sie sind 62 Jahre alt, seit einem halben Jahr in Altersteilzeit. Nun streben Sie für fünf Jahre die Fulltime-Aufgabe des jederzeit ansprechbaren Bürgermeisters und Verwaltungschefs der Stadt an. Hat die berufliche Situationsentscheidung mit der politischen Kandidatur direkt zu tun?

Leuchtenberg: Es hilft mir, dass ich tatsächlich unabhängiger bin. Ich meine das nicht im politischen Sinne. Ich habe ein gutes Auskommen, spüre keinerlei Belastung, keinen Zwang, muss niemandem einen Gefallen tun oder nach einer Parteipfeife tanzen und muss nicht in fünf Jahren wiedergewählt werden. In der Lebensplanung bin ich unabhängig. Ich habe 40 Jahre lang mehr als 40 Stunden in der Woche gearbeitet, daneben Politik gemacht, Ausschussarbeit. Als ich im Landtag war, habe ich meinen Job behalten, weil ich unabhängig sein wollte. Das ist ein sehr angenehmes Gefühl in der Politik.

Das Duell Leuchtenberg – Goßen zum Dritten. Was hören Sie von den Bürgern dazu?

Leuchtenberg: Seit gefühlten 20 Jahren höre ich in jedem Gespräch, in dem der Bürger auf mich zukommt, dass ich der Beste bin und gewählt werde. Da geht man dann mit dem Gefühl vom Wahlstand weg, 80 Prozent Zustimmung zu bekommen. Dass dem nicht so ist, ist klar. Was ich aber jetzt gemerkt habe, ist ein Umdenken. Dass viele Ideen und Vorstellungen, die ich bereits vor zehn Jahren hatte, Zuspruch von politischen Wegbegleitern bekommen. Die GUT hatte sich beim letzten Wahlkampf noch für Goßen ausgesprochen. Das ist jetzt anders. Die GUT will nicht nur eine Verwaltungsführung haben, sondern jemanden, der mit den Leuten kann und das Gefühl für die Menschen hat. Und auch die Grünen waren vor Jahren nicht einheitlich auf meiner Seite. Obwohl die handelnden Personen sich kaum verändert haben, ist die Wahrnehmung heute von Goßen und mir eine andere. Und das ist noch einmal für mich eine Extra-Motivation gewesen, zu kandidieren. Bei den Leuten spüre ich eine Enttäuschung darüber, dass eine Erwartungshaltung an das Amt des Bürgermeisters nicht erfüllt wurde. Man erwartet ein anderes Verhältnis zwischen Bürgern und Bürgermeister. Thomas Goßen ist unstreitig ein guter Verwalter. Meine Vorstellung vom Amt ist aber eine ganz andere. Die konnte ich den Grünen und der GUT vermitteln. Dass der Bürgermeister zu den Bürgern und in die Vereine geht, ihnen zuhört.

Sie wären demnach eine Top-Doppelspitze, oder?

Leuchtenberg (lacht laut): Wenn es eine Doppelspitze gäbe, dann könnte ich mir vorstellen, ihm ein Angebot zu machen... Nein, im Ernst. Ein Duo wie Josef Heyes und Willy Kerbusch in Willich, da würde ich den Heyes machen, aber mit einem anderen Parteibuch, und dann würde ich mir einen für den Geschäftsbereich Verwaltung suchen.

Vier BM-Kandidaten gehen 2020 ins Rennen. Das macht eine Stichwahl wahrscheinlich, das Rennen spannender, oder etwa nicht?

Leuchtenberg: Eine Stichwahl ist wahrscheinlich. Ob es letztlich klar auf mich und Goßen zuläuft? Weiß nicht. Ein Fettnapf kurz vor Stimmzettelabgabe – das ist natürlich tödlich. Ich würde aber nicht kämpfen bis zum Umfallen, wenn ich daran zweifeln würde, dass ich das mache. Ich bin an vielen Stellen deutlich gelassener als 2014. Der Wille, das jetzt zu machen, ist noch mal deutlich höher.

Wo sehen Sie Ihre Stärken als Kandidat?

Leuchtenberg: Fragen Sie die Leute.

Wir fragen Sie.

Leuchtenberg: Die Stärke, die ich im Unterschied zu Goßen habe, ist die Idee einer anderen Amtsausübung. Meine klare Stärke ist es, auf die Menschen zuzugehen. Mit den Leuten zu reden, ihnen zuzuhören und ertwas gemeinsam mit ihnen umzusetzen. Meine Stärke ist es zu vermitteln, dass es zu Themen auch mehrere Sichtweisen gibt. Das ist wichtig fürs ganze Miteinander. Sonst baut man Mauern auf und zerstört Vertrauen. Man muss andere Auffassungen akzeptieren und aushalten können. Das halte ich für absolut wichtig.

2020 ist das Jahr des medialen Wahlkampfes. Wie viele Video-Minuten können sich Bürger von Ihnen und mit Ihnen mittlerweile ansehen?

Leuchtenberg: Eine Menge. Und da liegen hunderte Minuten noch in der Schublade. Die Gartengespräche zum Beispiel sind zu 95 Prozent ungeschnitten. Ich bin da nicht nur der SPD-Kandidat, sondern auch der von GUT und Grünen. Ich wurde auf ihren Parteitagen nominiert und gewählt. Das passte gleich zu 100 Prozent. Es macht mir wieder ernsthaft Spaß, Politik zu machen, mit neuen Leuten am Tisch, wie beispielsweise Britta Rohr von den Grünen und Daniel Ponten (GUT). Wir alle arbeiten gut zusammen. Das passt. Das Ding läuft. Ich schaue mir die Videos vorher nicht an – ausgenommen die Unterstützervideos. Es gibt ein neues, in dem Andreas Kaiser von der Rupert-Neudeck-Gesamtschule zu Wort kommt. Er tut das ausdrücklich als Lehrer und nicht als Schulleiter.

Nennen Sie bitte Stichworte, die dafür stehen, was in der nun zu Ende gehenden Legislaturperiode schlecht für Tönisvorst gelaufen ist.

Leuchtenberg: Die Kommunikation zum Bürger läuft nicht optimal. Die Kommunikation in Sachen Krankenhaus ist nicht gut. Es gibt eine mangelnde Umsetzung von Projekten. Das Verhältnis innerhalb der Entscheider in der Stadt muss verbessert werden. Das Kaputtmachen von Ideen – das geht nicht. Es hat sich eine gewisse Arroganz der Macht aufgebaut. Das ärgert mich. Sachlich gute Ideen können von allen Seiten kommen.

Ihr Slogan lautet: Die ganze Stadt im Blick. Gefühlt werden in diesem Wahlkampf auch alle Themen bedient. Nennen Sie Ihre drei Top-Themen für Tönisvorst.

Leuchtenberg: Das ist ganz klar die Chancengleichheit. Die gilt es an vielen Stellen zu verbessern. Das fängt mit dem kostenlosen Besuch der Kitas an und geht bis zu den älteren Menschen, denen es schwer fällt, mit dem Rollator über die unebene Fußgängerzone zu gehen. Chancengleichheit muss es auch in der Verwaltung geben, etwa beim Job-Sharing. Warum nicht auch im Bereich der Führungskräfte. Das muss möglich sein. Einen Ansatz für Chancengleichheit sehe ich auch im Einzelhandel, der eine vernünftige Online-Plattform braucht. Wo Unterschiede bei der Teilhabe sind, möchte ich ansetzen. Ich möchte einen Digitalbeauftragten in der Verwaltung, der dem Bürger bei der Anwendung hilft.

In Ihrem Antritts-Video als Kandidat wird die Zeile „Weiterentwicklung der Stadt fördern und Raum für Neues bieten“ eingeblendet. Was heißt das konkret?

Leuchtenberg: Das heißt einmal Raum für Gewerbe. Da müssen wir was tun. Raum heißt Fläche an der Stelle. Gewerbesteuerzahler dürfen nicht wegen Flächenproblemen wegziehen. Das darf nicht passieren. Raum heißt auch Raum für andere Ideen. Es gibt außerdem Bedarf für bestimmte Gruppen der Bevölkerung. Am Pastorswall beispielsweise. Junge Leute brauchen Raum, wo sie ohne Vereinsbindung Sport treiben können, ein Beachvolleyballfeld zum Beispiel. Wir müssen die Stadt an vielen Stellen umgestalten. Vereine brauchen Raum. In Vorst beispielsweise. Es gibt viele Anfragen und Ansätze, die zum Wohlbefinden beitragen. Wir müssen neuen und bezahlbaren Wohnraum schaffen. Wenn man sich allein die Leerstände über den Geschäften in der St. Töniser Fußgängerzone ansieht. Das betrifft etwa ein Drittel. Da ist die Etage oben leer oder Lagerraum oder in keinem guten Zustand. Meine Idee: Den Verwaltungsneubau an anderer Stelle machen und ich sehe Platz für 150 Wohneinheiten. Das sind 300 Leute in der St. Töniser Innenstadt, die auch abends und samstags und sonntags dort wohnen und in die Cafés und Restaurants gehen.

Platz für neues Wohnen demnach im Areal Bahn- und Willicher Straße?

Leuchtenberg: Ja, aber auch im Bereich Hülser oder Gelderner Straße. Ich muss mir auf jeden Fall die Partner angucken, mit denen man das machen kann. Ich habe mit Cohousing (ein Wohnprojekt für Tönisvorst, die Red) gesprochen. Mit der GWG (Gemeinnützige Wohnungsgesellschaft) spreche ich momentan nicht mehr. Die haben Objekte in Tönisvorst bekommen und sie an private Investoren weitergegeben, die sie nun für zwölf Euro/Quadratmeter aufrufen. Das geht nicht. Wir rmüssen zu einem anderen System kommen, um Räume zu entwickeln. Bei einer Initiative wie Cohousing weiß ich, dass es um bezahlbaren Wohnraum geht. Auch die AWG (Allgemeine Wohnungsgenossenschaft Tönisvorst) würde das gerne machen, es aber noch nicht ganz so umsetzen können – angeblich –, wie ich mir das vorstelle. Muss man mal gucken, ob man eine städtische Wohnungsbaugesellschaft ins Spiel bringt.

Hat Goßen die Verwaltung im Griff?

Leuchtenberg: Da müssen unbedingt die Abläufe verbessert werden. Personalentwicklung muss passieren. Die Bereiche Ordnung und Recht kann er gestalten, aber man muss auch die Gesamtorganisation im Griff haben, sie gestalten, nicht nur reagieren, wenn es Stress gegeben hat. Man muss mit seinen Leuten reden, sehen, wo welche Potenziale sind und von einem starren Denken wegkommen. Es gibt einige Mitarbeiter in der Verwaltung, die seit 40 Jahren denselben Job machen. Da kann was nicht stimmen. Die Führung vesäumt es, dafür zu sorgen. Eine Mitarbeiterin hat sich bereits zwei Mal intern auf eine andere Stelle beworben, hat aber diese Chance nicht bekommen, sich zu entwickeln. Ihr wurde gesagt, sie mache ihren Job doch gut. Alle Verwaltungsmitarbeiter kennenzulernen ist eine Mammutaufgabe, das braucht Zeit.

Welches haltbare Versprechen geben Sie dem Wähler als Bürgermeister-Kandidat?

Leuchtenberg: Da nenne ich wieder das Stichwort Chanengleichheit. Ich werde den Bürger an die Hand nehmen, mir sein Anliegen anhören, gemeinsam in und mit der Verwaltung eine Vorlage für den Rat erarbeiten und sie in die Politik kommunizieren, um dann zu sehen, was machbar ist. Meinungsfindung per Bürgerentscheid und Transparenz sind wichtig.

Wie wollen Sie das Klima des politischen Dialogs in der Stadt, der gerade zwischen der SPD und den Christdemokraten nicht konfliktfrei abläuft, positiv beeinflussen und befrieden?

Leuchtenberg: Weiß ich noch nicht. Ich weiß aber, wie ich es gerne hätte. Wir wissen noch nicht, wie groß der Rat wird, ob 38 oder mehr als 50 Personen. Die Parteienlandschaft ist okay. Mein Ansatz ist ein gutes Miteinander der Ratsleute. Ich würde als Bürgemeister meine Partei nicht bevorzugen. Das geht nicht. Wenn ich die Fraktionsvorsitzenden einlade, dann alle zusammen oder alle hintereinander, aber dann zu den selben Themen. An der Stelle kommt auch meine Unabhängigkeit wieder zum Tragen. Ich muss mich nicht verbiegen, muss keine Seilschaften knüpfen und um Freundschaften buhlen.

Hat Corona Ihre Sicht auf die Dinge, auf Fragen und Notwendigkeiten des Zusammenlebens verändert, programmatische Schwerpunkte verschoben?

Leuchtenberg: Ich nenne es mal Korrekturen. Wir haben die Chance, den Verwaltungsneubau zu überdenken, vor allem das Raumkonzept. Die NEW, mein Arbeitgeber, hat früh stark auf Digitalisierung gesetzt. Diese Sichtweise darauf hat sich allgemein in der Corona-Zeit verstärkt, etwa durch Videokonferenzen. Dies neu zu lernen und anzuwenden, bedeutet für die Bürger auch Teilhabe. Der Digitalbeauftragte für die Bürger wird kommen, heranführen, Ängste nehmen. Negativ durch Corona ist: Die Stadt ist ins Koma gefallen. Das Altenheim hat die Türen zugemacht, es gab keine Anbindung der Altenheime ans Netz. Da hätte man schon was tun müssen. Auch der Stillstand in den Schulen ist nicht gut. Man muss Gelder abrufen: Die Stadt hat eine Fürsorgepflicht und muss schneller reagieren.

Sie fahren jetzt mit einem Elektro-Smart durch die Gegend. Kennzeichen KK-UL 10E. Warum haben Sie das KK und nicht VIE auf dem Nummernschild? Und wofür steht die 10?

Leuchtenberg: Ich habe ein Motorrad, das trägt das Kennzeichen KK-UL 1. VIE-UL gab es damals nicht. Ich habe das Kennzeichnen für den Smart nun mit der
10 fortgeführt.