Karneval Es begann mit acht Verrückten in der Kneipe
Anrath. · Der Zugverein „Aach Blenge“ legte mit seiner Gründung den Grundstein für das närrische Treiben samt Karnevalszug in Anrath. Jetzt blicken die Mitglieder auf ein halbes Jahrhundert zurück.
Normaler Autoverkehr an der Ecke Schottelstraße/Fadheider Straße. Stadteinwärts fährt ein bunt geschmückter Milchwagen, aus dem Leute winken. Dahinter folgt ein Traktor mit Anhänger, aus dem ebenfalls gewunken wird. Eine Schlange von Autos schleicht hinter den Gefährten her, weil sie nicht überholen kann. Am Straßenrand stehen vereinzelt Menschen, teilweise in Kostümen, und winken zurück. Karneval 1971 in Anrath. Der Zug, bestehend aus den zwei Fahrzeugen, fährt mit bester Stimmung durch den Ort und sorgt für gute Laune. „Ältere Bilder haben wir derzeit nicht. Auf Fotos vom ersten Zug am 18. Februar 1969 können wir leider nicht zurückgreifen“, berichtet Philipp Koszlowski vom Vorstand der „Aach Blenge“. Aber auch so erzählt das Zugfoto von 1971 genug Karnevalsgeschichte. Eine Geschichte, die vor nunmehr 50 Jahren in der Anrather Kneipe „Zum alten Zoll“ ihren Lauf nahm.
Dort trifft sich die Stammtischrunde namens „Fahrer Club“. Und genau bei einem solchen Treffen hat Ludwig Schelges eine, wie die meisten anderen finden, verrückte Idee. Er will den Karnevalszug in Anrath wiederbeleben. „Ach, ihr seid doch alles Blenge“, heißt es so auch in der Kneipe. Wobei damit gemeint ist, dass sie, die die Idee mittragen wollen, alle ein bisschen verrückt sind. Wobei Blenge eigentlich für Blinde steht.
Weil es insgesamt acht Männer sind, die die Idee unterstützen, muss nicht lange nach einem Namen gesucht werden: Die „Aach Blenge“ sind geboren, und damit ist der Grundstein für den heutigen Karnevalszug am Tulpensonntag in Anrath gelegt.
Jedes der aktuell 36 Mitglieder
hat seine Aufgabe
Mit besagtem Milchwagen, der Unterstützung der Feuerwehr und einem Freundeskreis namens „Kommune Anrath“ geht es los. Zugwegplanung, Genehmigungen und Straßensperrung gibt es noch nicht. Was die acht Männer machen, kommt an – der Zug wächst, Kamelle werden im Schreibwarengeschäft von Günter Roggen bestellt, und es kommen Mottos auf. Wobei schon seinerzeit lokales Tagesgeschehen aufgegriffen wird. So heißt es 1972: „Eine Büchse kam geflogen, hat uns um den Sieg betrogen“. Eine Anspielung auf das Spiel von Borussia Mönchengladbach gegen Inter Mailand am 20. Oktober 1971.
Die „Aach Blenge“ sind im Laufe der Jahre selbst mit Hochrädern im Zug dabei, treten als Wikinger auf, sorgen als Streichhölzer für Begeisterung, stellen mit Josef I. und Ria III. das erste Prinzenpaar aus den eigenen Reihen, bauen den ersten Prunkwagen, geben die Tulpensonntagszeitung heraus und rufen eine Abendveranstaltung in der Josefshalle vor dem eigentlichen Zug ins Leben. Der Karnevalszugverein etabliert sich, und es gelingt ihm wirklich, den Karneval in Anrath wiederzubeleben.
Der Tulpensonntagszug ist der jecke Höhepunkt in Willich. Wobei die Tatsache, dass es sich nicht um eine Karnevalsgesellschaft handelt, sondern einen Zugverein, auch die Besonderheit darstellt. Die „Aach Blenge“ haben keine Tanzgarde und treten nicht anderswo auf. Sie sind der Verein, der den Zug in Anrath auf die Beine stellt. „Die Magie ist der Zug“, bringt es Jenny Koszlowski auf den Punkt, deren Vater Frank Klingen der erste Vorsitzende der „Aach Blenge“ ist.
Aus den acht Gründern ist ein Verein mit 36 Mitgliedern im Alter von zwei bis über 80 Jahre geworden, bei dem alle Erwachsenen ihre Aufgaben haben. Da gibt es die, die für den Kamelle-Einkauf zuständig sind, die, die den Wagen bauen, die, die für die Zeitung verantwortlich sind, und diejenigen, die für die benötigten Genehmigungen sorgen. Jeder hat sein Gebiet, um das er sich kümmert, und das sei auch das Geheimrezept, warum es selbst in Zeiten ungezählter Freizeitangebote und schwieriger zu erlangender Genehmigungen immer wieder funktioniert, dass am Tulpensonntag der Zug in Anrath zieht.