Aktion Stolpersteine in St. Tönis Gunter Demnig verlegt neue Stolpersteine

St. Tönis. · Heimatbund will sich dafür einsetzen, dass auch weitere verfolgte Juden Steine erhalten.

Seit fast 30 Jahren setzt der Künstler Gunter Demnig die Pflastersteine mit Messingplakette ein.

Foto: Norbert Prümen (nop)

Isaak Kaufmann, ein St. Töniser Jude, ist 80 Jahre alt, als die Synagoge in seiner Heimatstadt brennt und Anhänger der Nationalsozialisten sein Haus an der Hochstraße 37 stürmen. Sie schlagen und treten den alten Mann, fesseln ihn an einen Stuhl und tragen ihn vor das Haus. Dort wollen sie den Viehhändler anzünden. Passanten greifen ein und verhindern die Gräueltat. Kaufmann verlässt nach dieser Nacht seine Heimat und flieht nach Holland.

Seit Samstag erinnert ein kleiner Stein an Kaufmann. „Hier wohnte Isaak Kaufmann, Jahrgang 1858, Flucht 1938 Holland, 1940 Argentinien“, ist in die Messingplatte eingraviert, die den Pflasterstein abdeckt. Dass das Verbrechen an Kaufmann nicht vergessen wird, dafür sorgt Nina Le Thi. Die 17-jährige Gymnasiastin liest bei der Stolpersteinverlegung vor, was Nazis dem St. Töniser Viehhändler angetan haben.

Das Rahmenprogramm für die Verlegung gestaltete das MEG

Gunter Demnig, der seit 1992 fast 70 000 Stolpersteine verlegt hat, lässt auch den Stein an der Hochstraße 37 ein. Möglich gemacht haben das der Heimatbund und die Stolperstein-AG des Michael-Ende-Gymnasiums. Sie gestalten auch die Gedenkstunde. Zunächst spielt das Cello-Orchester der Musikschule Krefeld, dem der MEG-Schüler Jan Michael Klaus angehört.

Bürgermeister Thomas Goßen: „Wir sollten die Stolpersteine zum Anlass nehmen, uns zu positionieren, wenn die Würde von Anderen gefährdet ist.“ Es gehe nicht darum, der nächsten Generation einen Rucksack voll Schuld mitzugeben, aber einen „voll Verantwortung“.

Vier weitere Steine mit den gravierten, goldfarbenen Platten werden an diesem Tag noch verlegt. Vor dem Haus Kaiserstraße 2 erinnern sie an Siegfried, Paula, Hans und Kurt Romberg, die dort bis 1938 ein Kleidungsgeschäft betrieben und zu den fünf reichsten jüdischen Familien von St. Tönis gehörten. Auch ihr Geschäft wird in der Reichspogromnacht geplündert und zerstört. Aber das ist erst der Anfang, wie Nina Le Thi, Natalie Heidenfels, Jan Michael Klaus und Madeleine Klaus wissen, die die Geschichte recherchiert haben und anlässlich der Verlegung vorlesen.

Demütigungen, Repressalien und Enteignung widerfahren der Familie. Hans Romberg, der ältere Sohn und Besitzer einer Krawattenfabrik, wird nach Dachau verschleppt, von wo ihn sein Vater gegen eine sehr hohe Geldsumme freikaufen kann. Der junge Mann flüchtet nach England, lebt später in Kanada, geht von dort zu seiner Familie, die nach Südafrika geflohen war, und baut sich schließlich in Simbabwe eine Existenz auf.

Weil die Familie Romberg von der Bundesrepublik entschädigt wurde und das gut dokumentiert ist, konnten die Jugendlichen der Stolperstein-AG mit David Wirth vom MEG die Geschichte der Rombergs recherchieren. Bei anderen Familien sei das schwerer, erzählt David Wirth, Lehrer für Geschichte und Philosophie am MEG. Aber: „Wir kennen die Namen von 70 weiteren Tönisvorster Juden, und wir möchten auch deren Schicksale recherchieren und veröffentlichen.“ wic