Lokale Wirtschaft Eine ehrliche Fotografin und ihr Befreiungsschlag
Tönisvorst · Vor 30 Jahren machte sich Ira Ingenpaß in St. Tönis selbstständig. Inzwischen ist sie in Gladbach tätig.
„Wie ehrlich ist Fotografie und wie ehrlich sollte sie sein?“ Bleiben wir in ihrer Sprache, so hat Ira Ingenpaß eine Belichtungszeit von 1/50s benötigt, um die Frage spontan und ohne Verwackeln zu beantworten: „Total ehrlich!“ Damit verweigert sie sich nicht der Verschönerung durch das Retuschieren des ein oder anderen Fältchens. Sie meint damit das Wesentliche: Dass sich der Mensch im Bild authentisch wiederfindet, „nicht statisch, nicht verkleidet, sondern in seiner Persönlichkeit. Eben echt“.
Vor 30 Jahren, am 10. März 1990, verlegte die Grefratherin Ira Ingenpaß ihren Lebensmittelpunkt nach St. Tönis. Sie machte sich dort in der Innenstadt als Fotografin selbstständig. An den Tag, an dem sie ihr Geschäft an der Hochstraße 38 gegenüber Spielwaren Lessenich eröffnete, hat die heute 53-Jährige noch genaue Erinnerungen: „Es war ein Samstag. Und es hat geregnet.“ Es sei ein typisches Fotografengeschäft gewesen: Einzelhandel mit Schwerpunkt Portrait-Fotografie, Familien und Hochzeiten, dazu der Verkauf von Bilderrahmen und Accessoires.
25 Jahre agierte Ira Ingenpaß als Fotografin und angestammte Geschäftsfrau. Aber die Sehnsucht wurde stärker, das Image der „Dorffotografin“ hinter sich zu lassen. Sich weiterzuentwickeln. „Raus aus den Zwängen der Öffnungszeiten eines Geschäfts. Ich wollte wieder Kunst und Handwerk entfalten.“
Zwei Jahre lang suchte sie eine Immobilie, in der sie sich und ihrer Fotografie wieder mehr Raum geben, ihrer Arbeit einen künstlerischen, den Ingenpaß-Stempel aufdrücken konnte. „Weg aus St. Tönis, daran dachte ich zunächst überhaupt nicht.“ Schließlich waren ja die meisten ihrer Kunden von dort. Tatsächlich waren „Gespräche“ fast unterschriftsreif und ein Atelier auf dem Kress-Gelände ausgeguckt. Doch dann mietete ein asiatisches Restaurant die Fläche. Die Suche begann von vorn.
Seit drei Jahren ist Ingenpaß nun mit ihrem „Fotostudio1“ am Mönchengladbacher Nordpark zu finden, nah am Stadion. „Die Lokalität hat mich gesucht und gefunden“, sagt sie. Sie sei auf Immobilienseiten auf die Adresse gestoßen. „Am Anfang meiner zweijährigen Suche und am Ende.“ Es passt perfekt: „Hier kann ich mein Handwerk und die Kunst leben, bin raus aus den Zwängen der Öffnungszeiten.“
Business-Fotografie für Bewerber ist mittlerweile ein Schwerpunkt. Aufträge mit Terminvergabe. 50 bis 60 Prozent ihrer Kunden sind weiterhin aus Tönisvorst, darunter Vereine wie das Akkordeon-Orchester oder die Freiwillige Feuerwehr. Letztere hat Ingenpaß zuletzt im großen Gruppenbild fotografiert und dabei mit Kamera in luftiger Höhe Schwindelfreiheit unter Beweis gestellt.
Am neuen Standort in Mönchengladbach ist sie angekommen. Das weiß Ingenpaß spätestens, seit sie im Telefonat mit dem Pressesprecher von Borussia Mönchengladbach von ihm als die „rothaarige Fotografin vom Gelände“ erkannt wurde und die Erlaubnis erhielt, Dirk und Martina Weise, das Mönchengladbacher Prinzenpaar der Session 2018/19, im Ornat im Stadion fotografieren zu dürfen.
Den Kontakt zur närrischen Prominenz verschaffte ihr übrigens ihr bester Mitarbeiter: „Johann“, der neun Jahre alte Bearded Collie. Zwei Hunde dieser Rasse besitzt auch Ehepaar Weise. Herrchen, Frauchen und Hunde verstanden sich auf Anhieb. Vor und hinter der Kamera. Und auch das Prinzenpaar der gerade abgelaufenen Session, Axel I. und Niersius Thorsten, ließ sich in der Session von Ira Ingenpaß ablichten. Die St. Töniserin empfindet bei aller Verwurzelung in St. Tönis am neuen Standort neue Wertschätzung ihrer Arbeit. Ganz ehrlich? „Der Umzug war beruflich wie ein Befreiungsschlag.“