Lokale Wirtschaft Goldgräberstimmung im Handwerk?

Tönisvorst/Kreis Viersen. · Marc Peters, Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft, beantwortet die Frage im WZ-Interview mit einem „Ja, aber“. Denn die Branche hat auch Probleme, unter anderem Nachwuchssorgen.

Das Baugewerbe boomt. Es wird gebaut, wie hier an der Von-Sahr-Straße in St. Tönis, oder lieber Geld in die Sanierung von Immobilien gesteckt, als es auf die Bank zu tragen, sagt Marc Peters im Interview.

Foto: Lübke, Kurt (kul)

Dem Handwerk scheint es gut zu gehen. Schließlich gestaltet es sich derzeit schwierig, überhaupt Handwerker für ein Projekt zu gewinnen. Ein Gespräch mit Marc Peters, Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft, über die aktuelle Lage und die Sorgen zur Zukunft.

Herr Peters, die Wirtschaft rechnet nur mit einem sehr geringen Wachstum in diesem Jahr, im Handwerk aber herrscht weiter Goldgräberstimmung. Wie ist das zu erklären?

Marc Peters: Ich würde nicht pauschal von einer Goldgräberstimmung im Handwerk sprechen wollen. Richtig ist aber, dass insbesondere die Bau- und Ausbaugewerke immer noch volle Auftragsbücher haben. Und die Zeichen deuten darauf hin, dass das Handwerk von der Krise, über die die Industrie spricht, voraussichtlich nicht betroffen sein wird. Die seit einigen Jahren herrschende Niedrigzinsphase und jetzt sogar drohende Strafzinsen haben dazu geführt, dass viele Immobilienbesitzer lieber in ihre Immobilien investieren statt zuzusehen, wie ihr Geld auf der Bank weniger wird. An dieser Situation wird sich bis auf weiteres auch nichts ändern.

Häuslebauer können sich zwar über nach wie vor niedrige Zinsen freuen, dafür aber scheint das Bauen und Sanieren immer teurer zu werden. Legt das Handwerk jedes Jahr eine ordentliche Schippe drauf?

Peters: Der Stundenverrechnungssatz eines Handwerkers ist nicht der Lohn des Handwerkers. In den Stundenverrechnungssatz fließen viele Faktoren ein. Hier sind zum einen die Lohnkosten der Mitarbeiter zu nennen. In den vergangenen Jahren hat es mehrere tarifliche Lohnerhöhungen für die Mitarbeiter gegeben, die sich mit Nebenkosten in den Stundenverrechnungssätzen niederschlagen. Aber auch die gestiegenen Stromkosten, Kosten für Versicherungen, für Mieten und Leasingkosten und vieles mehr fließen in den Stundenverrechnungssatz ein. Und all dies ist in den vergangenen Jahren teurer geworden. Nicht zu vergessen ist, dass auch die Materialpreise in den vergangenen Jahren ständig gestiegen sind. Diese gestiegenen Kosten muss der Handwerker natürlich umlegen. Eine Handwerkerstunde kann heute nicht mehr 30 Euro kosten.

So gut wie es derzeit läuft, müssten Ihnen junge Leute die Bude einrennen. Dem ist aber nicht so. Warum hat das Handwerk ein Nachwuchsproblem?

Peters: Heute machen rund 60 Prozent eines Jahrgangs Abitur. Also ist das der Regelschulabschluss, der mit dem Anspruch abgelegt wird, studieren zu gehen. Viele Eltern glauben noch immer, dass nur ein Studienabschluss dem Kind ein gutes Leben sichern wird. Dass aber ein Studienabschluss heutzutage nicht mehr die Garantie ist, ein auskömmliches Einkommen zu erzielen, übersehen leider die meisten. Das Handwerk hingegen bietet sichere und gut bezahlte Arbeitsplätze. Und die Karriere im Handwerk endet auch nicht mit dem bestandenen Gesellenbrief. Man hat vielfältige Möglichkeiten, im Handwerk aufzusteigen. Die wenigsten wissen zum Beispiel, dass man mit einem Meisterbrief auch ohne Abitur studieren kann.

In Tönisvorst gibt es die Handwerkerinitiative HIT, die Kinder und Jugendliche auf die Möglichkeiten des Handwerks aufmerksam machen will. Ist das ein Vorbild auch für andere Kommunen?

Peters: Handwerkerinitiativen wie HIT sind wichtig, da hierdurch Kinder und Jugendliche unmittelbar erleben, was Handwerk ist und was Handwerk kann. Das Handwerk ist da auch schon in vielfältigster Weise tätig. Sei es, dass Handwerksinnungen beim Tag der offenen Tür am Berufskolleg die Arbeit ihres Gewerks vorstellen, sei es dass das Bildungszentrum der Kreishandwerkerschaft an Berufsmessen teilnimmt. Sei es, dass Handwerker in Vereinen mitmachen wie zum Beispiel der Initiative BaseL in Nettetal, sei es dass einzelne Handwerker Kooperationen mit Schulen haben und und und.

In den Städten in der Region stehen diverse Bau- und Sanierungsprojekte an, sei es im Verwaltungsbereich, sei es in Schulen und Kindergärten. Wie ist das zu stemmen – ohne die nötige Anzahl an Fachleuten in den Gewerken?

Peters: Das ist in der Tat ein Problem. Städte und Gemeinden suchen oftmals händeringend Handwerksbetriebe, finden aber keine. Dies liegt aus meiner Sicht aber vor allem auch in dem hohen Bürokratieaufwand, der mit öffentlichen Aufträgen für den Handwerksbetrieb verbunden ist. Hier sind oft Dutzende Formularseiten auszufüllen. Und wenn sich ein Handwerker mehrfach erfolglos im Rahmen eines öffentlichen Vergabeverfahrens beworben hat, überlegt er sich irgendwann, ob er Zeit und letztlich auch Geld in ein weiteres Vergabeverfahren investiert, wenn er für einen Privatkunden ohne einen derartigen Aufwand einen Auftrag erledigen kann.