Kindertheater Mehr als 80 tolle Ideen für ein Theaterstück
Applaus, Applaus, Applaus: Das Kinderstück der Schlossfestspiele Neersen ist flott und wundervoll inszeniert.
Neersen. Machen wir’s kurz. Das Neersener Kinderstück ist eine Wucht. Pardon, ein Pfund. Phileas Foggs Reise „in 80 Tagen um die Welt“ beginnt schließlich im London des Jahres 1872. Von dort führt es ihn in 115 200 Minuten schwindelerregend schnell um den Globus — über die Alpen nach Ägypten, weiter nach Indien, Japan, Amerika und wieder zurück nach Europa.
Wer diese Passage ab Neersener Schloss noch nicht gebucht hat, eine Abenteuerreise zu Luft, auf Wasser, Schienen und Elefantenrücken, der sollte es schleunigst tun. Sonst verpasst er in diesem Festspielsommer 70 Minuten, in denen die Fantasie Berge versetzt, der Spaß am Spiel keine Grenze kennt. So nah waren sich Ensemble und Publikum schon lange nicht mehr. Jeder war dabei, mittendrin, ging mit, ungehetzt, köstlich unterhalten. Mit Siebenmeilenstiefeln im Kopf.
Wen soll man zuerst loben? Beginnen wir, weil sie es verdient hat, mit einer Frau, die erst sichtbar wurde, als Phileas Fogg seine Wette längst gewonnen hatte. In dem anhaltenden Schlussapplaus des Publikums, das leider nicht die komplette Tribüne füllte, verneigte sich auch Ausstatterin Silke von Patay. Sie betrat mit dem hochzufrieden strahlenden Regisseur R.A. Güther ihre Bühne. Von Patay ist mit dem Einbau der Brücke zwischen den beiden Spiel-Podesten rechts und links ein Geniestreich gelungen.
Über diese Brücke ging es von links nach rechts, von rechts nach links, stolpernd, ruckelnd, schwebend oder ratternd. Mit einem flugs angebrachtem Steuerrad wurde die Brücke zum Schiff, mit Rüssel zu einem Elefanten mit Transportkorb, der den englischen Gentleman, seinen Diener Passepartout, Detektiv Fix und die gerettete indische Prinzessin schließlich in Sicherheit schaukelte. Mehr Andeutung brauchte es nicht, um mitzureisen. Kompliment an Macher und Umsetzer — mit 80 Ideen kam diese Reise um die Welt nicht aus. Im Sekundentakt wandelten sich die Bilder, wunderbare Kostüme, passende Requisite und die Umbau-Musik, die im Tick-Tack-Rhythmus ruckzuck Orte und Zeit überbrückte. Die Schlossfassade war Spielwiese bis in den ersten Stock.
Das Ensemble war eines: Jeder spielte für jeden, mit jedem, mit einer Vorfreude auf diese Premiere, die sich von der ersten Londoner Straßenszene auf die Neersener Zuschauer übertrug.
Gideon Rapp mimte den selbstbeherrschten Gentleman Fogg, der mit jedem Reisekilometer mehr Lockerheit und Abenteuerlust bekam, grandios. Die Rolle passte wie ein englischer Maßanzug.
Thomas Kornmann war als Passepartout ein idealer Kompagnon, witzig, charmant, ein Schelm und Schlawiner mit Hang zum weiblichen Geschlecht. Die von ihm in mehreren Rollen umgarnte Lena Stamm machte ihre Sache genauso prächtig wie Holger Stolz, Heinz-Hermann Hoff und Christine Czar, die auf jedem Kontinent in neuen Kostümen überzeugten.
Jan-Christoph Kick fühlte sich in seiner Rolle als Detektiv Fix sehr wohl. Und Isabell Dachsteiner durfte ihr komödiantisches Können in Polizeiuniform ausschöpfen, bevor sie ihren Sari als indische Prinzessin anlegte.
Die beiden Spielzeit-Hospitanten Vitalia Rosina und Jannik Lange, die jeden Umbau einleiteten, organisierten und sogar jodelnd die Alpenübequerung inszenierten, waren perfekt eingesetzt. Dass sich vor dem letzten Umbau ein Rad nicht von der Brücke lösen ließ, ließ die Illusion nicht platzen. Das Publikum war längst eingefangen von dieser fantastischen Reise, zu der es seinen Beitrag beigetragen hatte. Pustend und prustend. Sagen wir es kurz: Ein perfekter Theatermorgen.