St. Tönis Prozess um tödlichen Raub: Fragmente einer Bluttat
Am zweiten Verhandlungstag der Prozess-Neuauflage um den Raub mit Todesfolge lassen Arzt- und Polizeiberichte schreckliche Taten erahnen. Und ein Verteidiger kritisiert das Vorgehen der Mordkommission.
St. Tönis/Krefeld. Eine männliche Person liegt in Rückenlage auf dem Boden. Sanitäter führen Reanimationsmaßnahmen durch. Aus der Nase läuft Blut. Der Notarzt gibt ein Zeichen, dass die Person in akuter Lebensgefahr schwebt. So beschreibt eine Polizeibeamtin in einem Bericht, wie sie die Situation nach dem Raubüberfall auf einen 81-Jährigen in St. Tönis am Abend des 1. Oktobers 2014 vor Ort erlebte.
Es ist das letzte schriftliche Dokument, das der Richter am zweiten Verhandlungstag der Neuauflage des Prozesses am Landgericht Krefeld vorliest. Die fünf jungen Angeklagten verziehen dabei keine Miene. Der Tod des Rentners wurde um 18.50 Uhr in einem Krefelder Krankenhaus festgestellt, geht es aus einem anderen Dokument hervor. Es sind „Mosaiksteine“, so der Richter, die am Ende der Neuverhandlung des Prozesses zu einem Urteil führen sollen, das Bestand hat.
Zu Beginn des zweiten Verhandlungstages ergreift erneut ein Verteidiger das Wort. Er vertritt den jungen Mann, der auch laut Anklage nicht direkt am brutalen Geschehen im Haus des Seniors beteiligt gewesen sein soll. Während die anderen Beschuldigten es betraten und ihn überwältigt und schwer verletzt haben sollen, war Almir R. demnach zurück zum Auto gegangen. Daher könne sein Verteidiger die Anklage, die den fünf Beschuldigten vorwirft, den Tod des Seniors „billigend in Kauf genommen“ zu haben, nicht akzeptieren. „Was im Haus passiert ist, kann ihm nicht zugerechnet werden“, sagt der Verteidiger am Donnerstag.
Außerdem kritisiert der Verteidiger das Verhalten von Polizei und Staatsanwaltschaft. Nachdem die Ermittler den Tätern mittels einer DNA-Spur und weiteren Maßnahmen auf die Schliche gekommen waren, schlugen die Beamten mit einer groß angelegten Aktion Ende Januar 2015 zu.
Die Kritik des Verteidigers: Es habe zu lange gedauert, bis die Angeklagten nach den Festnahmen einem Haftrichter vorgeführt wurden. Außerdem habe es Fehler bei der Belehrung über die Rechte der Angeklagten gegeben. Konkret seien sie nicht darauf hingewiesen worden, dass sie Anspruch auf einen kostenlosen Verteidiger hatten. Dazu hat am Donnerstag ein Polizist aus Mönchengladbach Stellung bezogen. Er habe den Angeklagten Almir R. nach der Festnahme in Empfang genommen und verhört. Er habe ihn über seine Rechte belehrt, aber die seit 2013 notwendige Passage mit dem Pflichtverteidiger unerwähnt gelassen. Ob das die Verwertbarkeit der Polizeiverhöre vor Gericht beeinträchtigten könnte, soll zu einem späteren Zeitpunkt geklärt werden.
Der Richter beschloss die Verhandlung mit weiteren Fragmenten des brutalen Überfalls. Ein Polizeibericht beschreibt Blutspuren im Flur und der Küche des Hauses, durchwühlte Schubladen und Schränke und das offensichtliche Ziel der Täter: einen Tresor, indem sich statt des erhofften Geldes Spirituosen, ein Stammbuch und unterschiedliche Schreiben befanden.