St. Tönis: Die WZ geht auf Kaffeefahrt mit Dr. Fischer
Die WZ reiste mit einer Gruppe von Senioren, denen ein Geldgewinn angekündigt worden war, nach Westfalen.
St. Tönis. 7.15 Uhr. Fünf Personen stehen am Steig 1 des Busbahnhofes am Wilhelmplatz in St. Tönis. Sie haben eine persönliche Einladung von "Dr. Fischer und Partner" in der Tasche: Ein Gewinn von 946,72 Euro beim "Lotto Gewinn-Service" soll ihnen im Rahmen einer Bustour ausgezahlt werden.
"Das Geld kommt kurz vor Weihnachten gut, ich kann meiner Enkelin einen besonderen Wunsch erfüllen", sagt Rentnerin Paula K. (79). Ihr Partner Klaus S. (82) nickt und ergänzt: "Bei unserer Rente so viel Glück, ich kann das noch gar nicht fassen."
Um 7.27 Uhr biegt der Bus in Steig 1 ein. Darin sitzen bereits 27 Menschen aus Straelen, Grefrath, Kempen, alle auf der Reise zum Geld verschenkenden Dr. Fischer.
Gegen 10.15 Uhr Ankunft in Oer-Erkenschwick. Der Doktor lädt zur Bewirtung in den einsamen Gasthof "Mutter Wehner" ein. So stellt man sich die Auszahlung von über 70.000 Euro an mittlerweile 74 Anwesende vor. Doch als wenig später ein gewisser Franz-Josef als "Anwärmer" seinen Auftritt hat, beginnt eine stundenlange Verkaufspropaganda, an deren Ende niemand mehr an eine Gewinn-Auszahlung glaubt - und diese auch nicht bekommt.
Franz-Josef, sein Kollege Frank von Liechtenstein, Buchhalterin Angelika und Alex, der Kartons schleppende Hilfsarbeiter, sind offenbar die "Partner" von Dr. Fischer. Franz-Josef schmust sich zunächst mit zotigen Witzen an die Reisegruppe ran. Man befindet sich offenkundig in einer subtil aufgebauten Verkaufspropaganda der mit Reisegewerbeschein tätigen "SBB und FC Vitamex Vertrieb" aus Emden in Ostfriesland.
Frank, hemdsärmeliger Vertriebsleiter dieses "weltweit operierenden Pharmakonzerns mit produzierendem Europa-Standort in Bern", bewegt sich systematisch auf seine Zielgruppe zu. Ältere Menschen mit gesundheitlicher Problemen werden in das schlechte Gewissen hinein getrieben. Ob Gelenkgeschmeidigkeit oder ewiges Leben, Frank bringt sein eigenes Schicksal (Diabetiker Typ I) und das Schicksal seines Onkels ("Der hat nicht auf mich gehört, da hat er einen Herzinfarkt bekommen") in den Vortrag ein.
Nach zweieinhalb Stunden ist das Publikum derart bearbeitet worden, dass für die gesundheitliche Vorsorge in drei- und vierstelligem Bereich Bestellungen unterschrieben werden. Buchhalterin Angelika reicht Bestellformular ohne Datum herum, "ich darf schließlich rechtlich nicht beraten" (siehe Kasten).
Die Kasse stimmt, da bleibt für Franz Josef noch Zeit, Art und Umfang eines "Travelkontos" zu erklären, auf dem über 70000 Euro verbucht seien. Um an diesen "Gewinn" ran zu kommen, müssen allerdings "exklusive Bus-Reisen mit Unterhaltungsprogramm" gebucht werden - der Partner dürfe dann umsonst mit. Trotz Kirsch- und Apfelkuchen sind die Gäste mehr als bedient
Um 21.30 Uhr verabschieden sich am Steig 1 am Busbahnhof Wilhelmplatz Paula K. und ihr Partner Klaus S. von den aus St.Tönis mitfahrenden Personen. Gemeinsam haben sie über 14 Stunden bei "Dr.Fischer" verbringen müssen. "Alles Lügner und Betrüger", stellt Gartenbauer Hans. N. (51) am Ende frustriert fest. pms