„Terror“: Zuschauer fällen das Urteil

Schauspieler der Burgfestspiele Mayen waren in Neersen und zeigten das packende Stück von Ferdinand von Schirach.

Foto: Friedhelm Reimann

Neersen. In Willich gibt es die Schlossfestspiele Neersen und in Mayen die Burgfestspiele Mayen. Und weil sich die beiden Intendanten Jan Bodinus und Daniel Ris bereits von der Schauspielschule her kennen, wurden vor zwei Jahren Kontakte hergestellt.

Am Sonntagabend kamen die Mayener mit einem beklemmenden Stück nach Neersen: „Terror“ von Ferdinand von Schirach. Und weil eine Schauspielerin krankheitsbedingt ausgefallen war, wurde aus der Nebenklägerin ein Nebenkläger — diese Rolle übernahm der Intendant Daniel Ris. Theater pur, ohne Firlefanz, keine Lacher und an Schenkelklopfer war schon gar nicht zu denken. Die Besucher werden von der bedrückenden Materie geradezu absorbiert.

In der Pause mussten sie in die Rolle der Schöffen schlüpfen und entscheiden, ob der Angeklagte verurteilt oder freigesprochen werden sollte. Was auffiel: Die Zahl der Akteure war mit sechs Schauspielern sehr überschaubar und zumeist standen — oder saßen — sie in einer Reihe. Das mag sich langweilig anhören. Aber das Thema ist packend.

Ferdinand von Schirach bringt einen fiktiven Prozess auf die Bühne. Und er lässt die Zuschauer teilhaben an den Abläufen und Überlegungen, wenn ein verheerender Terroranschlag unmittelbar bevorsteht. Die Rollen scheinen optimal besetzt. Die Vorsitzende des Gerichts (Heike Trinker) erinnert ein wenig an die frühere Fernsehrichterin Barbara Salesch — wegen der roten Haare, aber vor allem wegen der besonnenen und zugleich energischen Verhandlungsführung. Im Mittelpunkt steht Major Koch (Jan Nicolas Bastel), der ein Passagierflugzeug mit 164 Insassen abgeschossen hat, weil der Terrorist, der die Maschine gekapert hat, das Flugzeug in die mit 70 000 Menschen besetzte Allianz-Arena zu fliegen droht.

Die Richterin entnimmt der Akte, dass der Einser-Abiturient mit hervorragenden Beurteilungen eine harte Auslese überstanden hat, ein Mensch mit enormen geistigen Fähigkeiten ist. Er hält sich nicht an das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, sondern schießt das Passagierflugzeug ab, als es auf die Allianz-Arena zusteuert. Sein Argument: Lieber 164 Menschen töten als den Tod von 70 000 Menschen in Kauf zu nehmen.

Interessant ist auch die Auseinandersetzung mit dem Staatsanwalt (Dejan Brkic). Er verunsichert die Zuschauer respektive Schöffen — beispielsweise, indem er die Frage in den Raum stellt, ob das Cockpit nicht von den Passagieren gestürmt worden sei. Und er fragt, warum die Evakuierung des Stadions nicht unverzüglich in die Wege geleitet wurde.

Einblicke in militärische Abläufe gibt der Oberstleutnant (Georg Lorenz): „Der Pilot kann und muss über sein Waffensystem selbst entscheiden. Der Nebenkläger (Daniel Ris) berührt mit Aussagen wie dieser: „Meine Frau trug immer teure Schuhe“. Einer davon wurde gefunden — völlig ohne Beschädigungen. Er habe ihn im Wald beerdigt.

Der Verteidiger (Marco Wohlwend) hält ein beeindruckendes Plädoyer: „Die Welt ist leider kein Seminar für Rechtsstudenten. Im Krieg geht es nicht ohne Opfer.“ Das hatte die Zuschauer offenbar überzeugt: 243 plädierten für Freispruch, 148 stimmten für eine Verurteilung.