Musik Tönisvorst: 100 Jahre Mandolinen-Orchester
St. Tönis · Das St. Töniser Mandolinen-Orchester wird 100 Jahre alt. Musiziert wird im Einklang mit Mandolas und Gitarren.
Rüdiger Sorgalla kann man sich in St. Tönis über mehrere „Saiten“ nähern. Das Bogenschießen bei Freischütz Tell ist eines seiner Hobbys. Da muss er eine ruhige Hand beweisen. Ganz anders gefordert ist er im Mandolinen-Orchester. Etwa wenn eine von Verdis Geigenlängen der konzertanten Mandoline ein Tremolo, die flotte Wiederholung von Tönen, mit der schnellen Bewegung aus dem Handgelenk heraus abverlangt.
Sorgalla war acht Jahre alt, als er das Mandolinenspiel bei seinem Onkel erlernte. Mit Unterbrechung spielt er seit fast vier Jahrzehnten in dem Orchester mit, das nun, 2020, sein 100-jähriges Bestehen feiert: „In der Gemeinschaft mit den anderen zu musizieren, ist das Besondere“, sagt er. In seinem Fall ist es Spaß ohne Abnutzungserscheinungen. Fürs nächste Konzert am 29. März in der evangelischen Kirche in Vorst wird bereits geprobt.
Die Musik berührt den Menschen, sie fasst sie an. Das Gefühl hat auch Hanni Röttsches gespürt, als sie nach der Geburt ihrer Kinder ihre Gitarre eher ans Sofa lehnte, als sie zu spielen oder nicht zum Üben kam. Als sie allerdings nach längerer Abstinenz bei einer Hochzeit das Mandolinenorchester spielen hörte, da war die alte Faszination für Klang und Instrument sofort entfacht. „Das willst du wieder machen“, sagte sie zu sich und stieg erneut ins aktive Geschehen der St. Töniser Zupferszene ein.
Die jüngste Musikerin ist 17,
die älteste über 80 Jahre alt
Drei Männer und elf Frauen, die jüngste 17, die älteste über 80 Jahre, musizieren gemeinsam. Die stimmführenden Mandolinen, Mandolas und die begleitenden Gitarren, dazu die Bassgitarre legen bei Proben und Konzerten ihren Klangteppich aus. „Wenn alle spielen, klingen 90 Saiten“, sagt Andrea Soumagne, 1. Vorsitzende. Dieser Gesamtklang sei ein anderer, als wenn man das eigene Spiel höre. Das Ohr dafür hat Andrea Jentges. Sie gibt musikalisch den Takt an. Mit ihr entdecken die St. Töniser neue Stücke, lassen sich auf anspruchsvolles Spiel ein, überstehen Phasen des Zweifels und erfreuen sich nach mitgeschnittenen Konzerten auf CD am eigenen Klang. Sorgalla bringt sich beim Zuhören im Nachhinein oft selbst zum Staunen.
Mandoline ist die
„Geige des armen Mannes“
Im Probenraum hängen Mandolinen, wie sie früher mit auf Wanderschaft genommen wurden. Als Begleiter auf gemeinsamen Fahrten, mit eher flachem Holzbauch. Die Mandoline, die Sorgalla zur Hand nimmt, um mit Soumagne gemeinsam einen Klangeindruck zu geben, ist wesentlich bauchiger. Verziert sind beide. Auch das eine individuelle Eigenart des Instruments, das, so Röttsches, „als Geige des armen Mannes bezeichnet wird“.
Dabei bereichert die Spieler das gemeinsame Musizieren. „Musik ist nicht irgendein Hobby. Musik ist Leidenschaft“, zitiert Hanni Röttsches den einstigen Mitspieler Walter Wimmers. Das Hobby hebt und erdet zugleich, denn, so Röttsches: „Wenn wir proben, denke ich nur an die Musik und vergesse alles andere.“
Bei der Gründung ausschließlich männliche Mitglieder
Nicht zu vergessen sind die vielen wichtigen Daten, Ereignisse, Namen und Konzerte aus 100 Jahren Mandolinenorchester St. Tönis 1920. Deshalb hier ein kleiner Blick in die Chronik. Am 5. Mai 1920 wurde im Restaurant der Witwe Wimmers von 15 Jugendlichen des damaligen St. Töniser Turnvereins Germania der Wanderclub Gut Freund gegründet. Die Gründungsmitglieder waren allesamt männlich: Wilhelm Öllers, Erich Kleinheyer, Karl Slickers, Mathias Wimmers, Mathias Peter, Jakob Köhler, Peter Schmitz, Heinrich Jakobs, Karl Hendrix, Gerhard Merbecks, Heinrich Wievels, Heinrich Weigel, Johann Schrörs und Gerhard Dereik.
Am 6. März wird eine Ausstellung in der Sparkasse eröffnet
1929 trat man dem Deutschen Mandolinen- und Gitarrenspieler Bund bei. Nach dem Zweiten Weltkrieg traf man sich im Oktober 1945 im Vereinslokal Reuter mit dem erklärten Ziel, das Mandolinenorchester Gut Freund wieder aufleben zu lassen. Ab 1949 fanden Konzerte im Saal Wirichs statt. Das Festkonzert 1970 zum 50-jährigen Bestehen fand mit Beteiligung des Meisterchores Sanssouci und des Remscheider Kinderchores statt. Nach fast 40-jähriger Tätigkeit als musikalischer Leiter gab Edy Willems beim Frühjahrskonzert 1971 aus Altersgründen das Dirigat an Hubert Draken ab. 1980 wurde der Vereinsname in Mandolinenorchester St. Tönis 1920 geändert.
Einen Überblick über die Historie des Vereins wird eine kleine Wanderausstellung geben, die am 6. März, um 17 Uhr in der Sparkasse St. Tönis an der Ringstraße eröffnet wird. Bis zum 2. April kann sie zu den Öffnungszeiten dort besichtigt werden. Zur Eröffnung wird auch Bürgermeister Thomas Goßen erwartet. Er erhält das erste Exemplar der Festschrift. Seiten über die Saiten der Zupfmusik in Tönisvorst.