Altersarmut Wenn die Rente nicht reicht
Tönisvorst · 168 Tönisvorster erhalten Grundsicherung. Viele scheuen sich, Lebensmittelausgabe oder Kleiderstube zu nutzen.
Wenn Jürgen Beyer hört, dass die Politik heute Altersarmut fürchtet, schüttelt er den Kopf. „Ich kenne Altersarmut seit 2011“, sagt der Vorsitzende der Tönisvorster Hilfe, die die Lebensmittelausgabe an Bedürftige in Tönisvorst organisiert. Denn 2011 hatte es die erste Ausgabe gegeben. Und ältere Menschen, deren Rente nicht reicht, gehören da von Anfang an dazu, so Beyer.
Laut Stadt gibt es aktuell 6677 Personen in Tönisvorst, die älter sind als 65 Jahre, 168 Personen erhalten Grundsicherung. Laut Deutscher Rentenversicherung kann man Grundsicherung beantragen, wenn die Einkünfte im Alter oder bei voller Erwerbsminderung nicht für den Lebensunterhalt ausreichen. Als Faustregel gelte: Wenn das Einkommen unter 865 Euro liege, solle man prüfen lassen, ob man Anspruch auf Grundsicherung habe.
Der Kreisverband Viersen des Deutschen Gewerkschaftsbunds hat jüngst Zahlen veröffentlicht, dass immer mehr Rentner im Kreis Viersen dazu verdienen müssten, weil die Rente nicht ausreicht. Der DGB-Untersuchung zufolge waren am 31. März 2019 im Kreis Viersen 4295 Personen über 65 Jahren in Minijobs beschäftigt. Zum selben Stichtag fünf Jahre zuvor waren es 3482. Das bedeutet eine Steigerung von 23,3 Prozent. Auch wenn zu diesen Zahlen auch sicher Menschen gehören, die aus Freude weiterhin arbeiten möchten, sieht der DGB darin ein klares Zeichen für die wachsende Altersarmut.
Immer mehr Renterinnen und Rentner verdienen hinzu
Von den Minijobbern waren 2299 Männer und 2006 Frauen, was laut DGB die Schlussfolgerung zulasse, dass beide Geschlechter betroffen sind, obwohl die aktuelle Rentenhöhe von Frauen mit durchschnittlich 627 Euro im Monat deutlich hinter der der Männer mit 1200 Euro im Monat zurückstehe.
„Die Rentenkürzungsprogramme der vergangenen Jahre produzieren Altersarmut. Schon heute sind viele Rentner gezwungen, dazu zu verdienen. Die Frage ist, wie lange die Menschen das durchhalten. Bis 69, 73 oder 78 Jahre? Sicher ist, dass irgendwann Schluss ist mit dem Minijob und die Rente auf Niedrigniveau verbleibt. Die Lösung der Rentenfrage kann folglich nicht im dauerhaften Hinzuverdienen von Ruheständlern liegen, die ihr Arbeitsleben hinter sich haben‘‘, so DGB-Sekretär Klaus Churt.
DGB: Rentengesetzgebung sorgt für mehr Minijobber
Verantwortlich für den Anstieg der Minijobs bei immer mehr Ruheständlern, ist für den DGB die Rentengesetzgebung. Lag das Rentenniveau im Jahr 2000 noch bei 53 Prozent des Durchschnittslohns, betrage es aktuell nur noch rund 48 Prozent und kann bis 2030 auf 45 Prozent absinken. „Eine Rente, die im Jahr 2000 beispielsweise 1000 Euro betrug, ist im Jahr 2030 nur noch 800 Euro wert. Diese Politik erzeugt Altersarmut und muss geändert werden“, so Churt.
Konkrete Zahlen, wie viele der Tafelnutzer Rentner sind, kann Jürgen Beyer nicht nennen. Aber wenn er nach einer Ausgabe nach Hause kommt und drei neue „Jungrentner“ hinzugekommen sind, dann macht ihn das betroffen. Repräsentativ wären die Zahlen der Rentner bei der Tafel sowieso nicht, meint Beyer. Denn er stellt fest, dass für viele die Not schon sehr groß sein muss, bis sie die Lebensmittelausgabe in Anspruch nehmen.
Rentner bei der Tafel bekommen im Schnitt 680 Euro
Das stellt auch Hedwig Lange von der Pfarrcaritas in St. Tönis fest. In der Kleiderstube werden Kleidungsstücke, Schuhe und Bettwäsche an Bedürftige ausgegeben. „Mittlerweile kommen nur noch Flüchtlinge. Die Deutschen schämen sich zu uns zu kommen“, sagt Hedwig Lange. Ihr tue das sehr leid. Denn sie weiß durchaus, dass es auch bei älteren St. Tönisern schon mal am Nötigsten fehlt. Wenn sie auf anderen Wegen von Notlagen erfahre, helfe sie schon mal unauffällig. Man würde natürlich vertraulich mit Informationen über Bedürftigkeit umgehen. Trotzdem sei die Scheu da, Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Im Durchschnitt kommen 100 bis 120 Abnehmer zu einer Ausgabe der Tönisvorster Hilfe. 155 Nutzer kommen regelmäßig. Weil viele ihre Familie versorgen, stehen dahinter 280 Menschen. Etwa die Hälfte der Empfänger seien Flüchtlinge, die andere Hälfte Rentner mit Grundsicherung und Hartz-IV-Empfänger. Die Rentner, die zur Tafel kommen, hätten im Durchschnitt monatlich 680 Euro zum Leben zur Verfügung. Dass das in einem reichen Land wie Deutschland möglich ist, findet Beyer unverständlich.