Welttag des Hörens am 3. März Dank Implantat kann sie wieder hören
St. Tönis · Nach einem Hörsturz wurde Bärbel Kebschull aus St. Tönis auf dem linken Ohr taub. Durch eine Hörprothese, ein sogenanntes Cochlea-Implantat, kann sie heute wieder hören. Wie das funktioniert – und was anders ist.
. (biro) Lange Zeit war Bärbel Kebschull beruflich sehr eingespannt. Schließlich führte der Stress zu einem Hörsturz. „Ich hielt mich für unabkömmlich, ich habe mich nicht krankschreiben lassen“, sagt sie rückblickend. Schließlich merkte sie, dass sie nicht mehr so gut hörte wie zuvor, wenn sie den Telefonhörer ans linke Ohr hielt, „es hörte sich immer so an, als ob der andere nuscheln würde.“ Sie ging zum Akustiker, bekam Hörgeräte. 2015 folgte ein zweiter Hörsturz, und Bärbel Kebschull stellte fest, dass sie auf dem linken Ohr gar nichts mehr hörte.
2016 wurde ihr in der Klinik Maria-Hilf in Mönchengladbach unter die Haut hinterm Ohr ein Cochlea-Implantat (CI) eingesetzt. Das ist eine elektronische Hörprothese, die die Funktion des Innenohrs ersetzen kann. Ein Mikrofon außen am Ohr empfängt Schallwellen, beispielsweise Stimmen. Ein Sprachprozessor verarbeitet dieses Signal und überträgt es an das Implantat, das das Signal in elektrische Impulse übersetzt, die den Hörnerv stimulieren. Der Hörnerv leitet die Impulse weiter ans Gehirn – der Mensch kann wieder hören.
Bis dahin dauert es aber eine Weile, man muss das Hören neu erlernen. Dazu verbrachte Bärbel Kebschull im Frühjahr 2016, nach der OP, fünf Wochen in einer Reha-Klinik. „Es ging relativ schnell, dass ich nach der OP wieder etwas hören konnte, ganz leise, wenn ich mich konzentrierte“, erzählt die 59-Jährige. In der Reha habe sie „täglichen Input“ bekommen – denn das Gehirn muss erst einmal lernen, die übertragenen Schwingungen zu verarbeiten. „Das sind elektrische Impulse, die sich anders anhören als natürliche Wellen“, sagt die Tönisvorsterin. Deshalb hörten sich Geräusche und Stimmen auch anders an. „Für mich ist es ganz schlimm, dass sich Musik nun anders anhört: Wenn man AC/DC hört und auf einmal den Eindruck hat, die spielten elektronisch, dann ist das ganz grauenvoll.“ Sie habe das Hören durch das Implantat angenommen als etwas Neues, sagt Bärbel Kebschull, „aber es ist anders.“
Isolation und Depression können die Folge der Taubheit sein
Hören sei ein ganz wichtiger Teil des täglichen Lebens, erklärt die 59-Jährige: „Wenn man nichts mehr hört, gerät man in eine Glocke. Viele Ertaubte ziehen sich zurück, Isolation und Depression können die Folge sein“, sagt Kebschull. Schließlich bemerkten andere Menschen nicht, dass man taub sei. Wenn man angesprochen werde und nicht antworte, werde man für arrogant gehalten, „niemand kommt auf die Idee, dass man taub sein könnte“, sagt Kebschull und gibt ein weiteres Beispiel: „Jemand fragt Sie nach dem Weg und Sie können nicht antworten.“ Oder, noch schlimmer: „Sie haben Kinder und Enkel, und Sie können ihre Stimmen nicht hören.“
Durch das Implantat kann Bärbel Kebschull heute wählen, ob sie hören möchte oder nicht. Und das ist manchmal auch von Vorteil: „Wenn mein Mann anfängt zu schnarchen, lege ich das CI ab“, erzählt sie schmunzelnd. Dann kommt das Außenteil, das den Prozessor enthält und das man zum Schlafen abnimmt, über Nacht in eine Trockenbox. „Wenn man dieses Außenteil abnimmt, hört man nichts“, sagt Kebschull: „Und wenn ich es morgens anlege, wird die Welt laut.“ Dann hört sie die Musik im Radio, das Gluckern der Kaffeemaschine, das Kratzen von Besteck auf dem Frühstücksteller.
Die Stille sei manchmal auch schön, hat die Tönisvorsterin erfahren. Sie engagiert sich für andere Hörgeschädigte, führt seit 2017 die Selbsthilfegruppe „CI-Café Mönchengladbach“, in der sich Betroffene austauschen, berät CI-Anwärter, um all ihre Fragen zum Implantat und zum Hören-Lernen zu beantworten und ihnen die Angst vor einer OP, die schließlich am Kopf vorgenommen wird, zu nehmen.
Sie ist im Vorstand des Cochlea-Implantat-Verbandes NRW tätig und Mitglied der deutschen Cochlea-Implantat-Gesellschaft. Im Rahmen dieses Engagements verbringt sie derzeit viel Zeit nicht bei Präsenz-Treffen, sondern online mit Seminaren und Vorträgen, und die stundenlange Tätigkeit am Computer, das permanente Hören, strengt an.
Nach einer Online-Veranstaltung ist sie „hörmüde“
Bärbel Kebschull erklärt: „Der CI-Mensch hört nie nebenbei, sondern immer aktiv. Das ist wie ein Marathonlauf, denn das Hören geht nur in zwei Schritten: Input und Verarbeitung. Selbst Smalltalk ist für uns anstrengend.“
Deshalb lege sie das Außenteil für eine halbe Stunde ab, wenn solch eine Veranstaltung vorbei sei, „oder ich mache das Autoradio aus oder gehe in den Wald“, sagt sie, „dann bin ich hörmüde.“