Laute Kritik an der Bundesregierung NRW will 1800 Afghanen aufnehmen - Evakuierungen gehen voran
Düsseldorf/Berlin · NRW will den Menschen in Afghanistan helfen und hat angekündigt fast 2000 Menschen aufzunehmen. Unterdessen gehen die Evakuierungen in Kabul voran und die Bundesregierung muss Antworten liefern.
Nachdem die militant-islamistischen Taliban in Afghanistan die Macht übernommen haben, will Nordrhein-Westfalen 1800 Menschen aus dem Land aufnehmen. Es geht hierbei um 800 Plätze für Ortskräfte, die in den vergangenen Jahren dort für Deutschland gearbeitet haben. 1000 weitere Plätze sollen vornehmlich Frauen offenstehen, die in den Bereichen Bürgerrechte, Menschenrechte, Kunst und Journalismus arbeiten und die besonders bedroht sind, erklärte Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) am Mittwoch. Auch Familienangehörige gehören dazu.
Unterdessen startete am Mittwoch ein weiterer Militärtransporter mit etwa 180 Menschen an Bord. Damit wurden vom deutschen Militär bereits mehr als 400 Menschen aus mehr als 15 Ländern ausgeflogen. Die Bundesregierung brachte zugleich die rechtliche Grundlage für den Einsatz auf den Weg. Nach dem vom Kabinett beschlossenen Mandatsentwurf sollen bis zu 600 Soldaten bis spätestens Ende September im Einsatz sein. Für die Operation werden etwa 40 Millionen Euro veranschlagt.
„Die Situation in Afghanistan ist erschütternd“, sagte Laschet. „Neben den Ortskräften sind mutige und engagierte Frauen großen Gefahren durch die Taliban besonders ausgesetzt.“ Diese Notsituation erfordere schnelles humanitäres Handeln. „Wir haben Vorsorge getragen, dass unsere Unterkünfte bereit sind.“
Flüchtlingsminister Joachim Stamp (FDP) mahnte Tempo an. „Jetzt muss es sehr schnell gehen, denn die Ortskräfte, unsere jahrelangen Verbündeten, sind akut gefährdet“, sagte der Liberale. „Es ist eine Frage des menschlichen Anstands, dass Verbündete sich bei Bedrohung von Leib und Leben helfen.“ Der Bundesregierung warf er vor, lange untätig geblieben zu sein - das mache ihn „fassungslos“, sagte Stamp. Berlin sollte sich für eine internationale Konferenz nach dem Vorbild der Genfer Vietnam-Konferenz von 1979 einsetzen, bei der es um die Rettung von vietnamesischen Bootsflüchtlingen und deren Umsiedlung auf verschiedene Teile der Welt gegangen war.
Mit Blick auf einen möglichen Anstieg von Geflüchteten aus Afghanistan in Deutschland sagte Stamp: „Was Fluchtbewegungen aus der Bevölkerung Afghanistans angeht, erwarte ich derzeit keine Entwicklung wie 2015/2016.“ Die meisten Flüchtlinge werden nach seiner Einschätzung in der Region bleiben. „Allerdings muss Deutschland jetzt dafür Sorge tragen, den Nachbarländern Afghanistans bei der ausreichenden Versorgung der Flüchtlinge helfen.“
Opposition erhebt schwere Vorwürfe gegen die Bundesregierung
Der Opposition in Berlin geht das Handeln der Bundesregierung nicht schnell genug. Sie erheben schwere Vorwürfe. „Wir haben es mit einem kollektiven Versagen zu tun“, sagte der Grünen-Außenpolitiker Jürgen Trittin vor einer Sondersitzung des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags am Mittwoch in Berlin. „Frau Merkel hat das getan, was sie am besten kann: nichts.“ Innenminister Horst Seehofer habe die Flüchtlingsabwehr höher gewichtet als das Leben von Menschen. „Und Heiko Maas hat dafür die Berichte geliefert, schönfärberische Berichte über die Situation in Afghanistan.“
Wenn man sich die Berichte aus der Botschaft in Kabul anschaue, stelle man fest, dass es nicht so gewesen sei, dass man nichts gewusst habe, sagte Trittin weiter. „Die Einzigen, die natürlich nichts gewusst haben, wie üblich, war der Bundesnachrichtendienst. Aber das überrascht eigentlich heute niemanden mehr.“ Trittin sagte, man werde jetzt auch mit der neuen Regierung in Kabul reden müssen, „gerade wenn man noch Spielräume haben möchte, um Menschen dort rauszuholen oder um gegebenenfalls konkrete humanitäre Hilfe und ähnliches zu leisten“.