Leverkusener Gymnasium plaudert mit Astro-Alex im Vorbeiflug
Elf Minuten war ein Leverkusener Gymnasium mit dem ISS-Astronauten per Funk verbunden — und hat daraus einen hinreißenden Tag gemacht.
Leverkusen. Es ist 11 Uhr und die Richtantenne auf dem Dach des Werner-Heisenberg-Gymnasiums in Leverkusen-Lützenkirchen zeigt gerade senkrecht in den strahlend blauen Himmel. Irgendwo da oben in 400 Kilometern Höhe jagt jetzt die ISS-Raumstation entlang. „Wenn es dunkel wäre, würde man sie sehen“, sagt Roland Stephan vom Leverkusener Ortsverband des Deutschen Amateur-Radio-Clubs (DARC). So hört man sie nur am Rauschen der Empfangsgeräte, die die Amateurfunker hinter der Aulabühne aufgebaut haben. Das Interview der Schüler mit Astronaut Alexander Gerst ist allerdings erst in anderthalb Stunden geplant. Aber bis dahin wird die ISS zurück sein: Bei 29 000 Stundenkilometern reicht ihr diese Zeit für eine Runde um die Erde.
Um 12.32 Uhr ist es dann so weit, Leverkusen ruft die ISS: „Delta Papa Zero India Sierra Sierra from Delta Lima Zero India Lima: Do you copy?“ Beim ersten Versuch — Rauschen. Beim zweiten Versuch — Rauschen. Beim dritten Versuch — Rauschen. Beim vierten Versuch — Rauschen. Beim fünften Versuch — die erlösende Reaktion aus dem All. Die Verbindung steht.
Jetzt muss alles schnell gehen: fünf Fragen aus Leverkusen, fünf Fragen des ebenfalls zugeschalteten Schickhardt-Gymnasiums in Herrenberg (Baden-Württemberg), dann das Ganze noch einmal. Elf Minuten bleiben Zeit, bis die ISS am Horizont verschwindet und wieder außer Reichweite ist. Yasna Ghafoorie aus der 5a fängt an: „Wie verändert sich der menschliche Körper im Weltall?“ Gerst erzählt davon, dass die Muskeln schwächer werden, und von den Auswirkungen des Alls auf das Immunsystem. Aber die gebannten Schüler in der Aula und bei der Außenübertragung auf dem Nord-Schulhof erfahren auch, dass es in der ISS schwer ist zu rülpsen, dass auch die Astronauten einmal in der Woche Staub wischen und dass er, wenn er selbst kein Astronaut wäre, einen solchen am liebsten fragen würde: „Wie fühlt es sich da oben an, auf die Erde zu schauen?“
Amateurfunker Klaus Rudolf (vorne) und Physiklehrer Frank Hill verfolgen die ISS im Technikbereich auf ihrer Umlaufbahn. Foto: Doro Siewert
Gerst hat das immer wieder beschrieben, und auch diesmal erzählt er vom tollen Gefühl, beim Weltraumspaziergang den freien Rundumblick aus dem Helm zu genießen und nichts als Raum zwischen sich und der Erde zu wissen. Das sei das Außergewöhnlichste, das er bisher im All erlebt habe, antwortet der 42-Jährige dem Fünftklässler Lorent Haziri. „Und die Momente der Freundschaft.“
Dann entschwindet Astro-Alex hinter dem Horizont und in der Aula brandet frenetischer Jubel auf. Aus Begeisterung. Und aus Erleichterung. Alle strahlen: die Schüler, die Lehrer, die Amateurfunker. Und die Leute vom Deutschen Zentrum für Luft und Raumfahrt (DLR) in Bonn. Pressesprecher Martin Fleischmann hatten kurz vor der Kontaktaufnahme die Hände gezittert, so sehr war er in die Vorbereitungen eingebunden und entsprechend mit dem Gelingen identifiziert gewesen. Und jetzt geht die Anspannung für ihn gleich weiter. Denn am Vortag hatte die Nasa plötzlich die für kommende Woche geplante Kontaktaufnahme mit einem Bonner Gymnasium wieder abgesagt. Nun versucht er alles, um die Verbindung doch noch zu retten.
Denn der Tag in Lützenkirchen zeigt, was eine Schule aus elf Minuten Funkkontakt machen kann, wenn genügend Enthusiasten mit am Werk sind. Ein minutiös geplantes Rahmenprogramm macht das Ereignis zu einer tagesfüllenden Schulaktion: mit Videos, Musikauftritten, Vorträgen und Theaterstücken. Neun Themenräume locken die Schüler in den Pausen zur Auseinandersetzung mit der Geschichte der Raumfahrt oder dem Leben im Weltraum. In einem Ruheraum kann man angestrahlte Planetenmodelle, ein nachdenklich positioniertes Astronautenmodell und sphärische Musik auf sich wirken lassen.
Ricarda Baier (17) steht im Raum H 015, der sich den Marsmissionen widmet. Gerade hat sie ihr Abi bestanden und vielleicht wird sie im Herbst mit dem Physikstudium beginnen. Aber heute ist sie als Teil des 31-köpfigen „ISS Contact Teams“ einfach froh, dass sich die monatelange Vorbereitungszeit unter Leitung des Physiklehrers Frank Hill gelohnt hat: „Ich habe auch beim Antennenaufbau auf dem Dach geholfen. Das war cool.“
Den DARC-Amateurfunkern ist ohnehin das ganze Spektakel zu verdanken. Der Leverkusener Vorsitzende Georg Westheld hatte dem Gymnasium mit seinem naturwissenschaftlichen Profil vorgeschlagen, sich zu bewerben. Und dann kam es gleich als erste von 15 Schulen an die Reihe. Die Funker sind auf alle Eventualitäten vorbereitet. Eigene Akkus hätten selbst einen Stromausfall überbrückt.
Mitten im Trubel steht Volker Schmid, DLR-Missionsleiter und damit Chef von Alexander Gerst. Der sei für die Schwerelosigkeit gemacht, sagt er bewundernd. „Und beim Rüberschweben in die ISS hatte Alex ein so breites Grinsen auf dem Gesicht. Der war sofort zu Hause.“ Dieses Gefühl kann Gerst noch bis zum 13. Dezember genießen. Dann hat ihn die Erde wieder. Und die Kontaktaufnahme wird wieder etwas unkomplizierter möglich.