Lager voller Räder Fahrrad-Handel: „Wir haben genügend Fahrräder vorrätig!“

NRW · „Wir haben genügend Fahrräder auf Lager!“ Mit diesem Ausruf wendet sich ein Netzwerk an Fahrradhändlern hilfesuchend an die WZ. Das Problem: Seit Monaten berichten die Medien von ausverkauften Radfachgeschäften, Kunden bleiben gerade in der wichtigen Vorweihnachtssaison fern.

Jörg Petzel steht in seinem Lager zwischen 350 eingepackten Rädern, die alle auf Kundschaft warten

Foto: Tanja Bamme

„Dabei haben wir vorgesorgt, die Lager sind gut gefüllt“, erklärt Jörg Petzel, der 2004 den Fachhandel „Rockers Bikeshop“ gründete und seitdem stetig expandierte. Zehn bis 20 Prozent Umsatzzuwachs konnte der Händler aus Bochum jährlich verzeichnen, im Corona-Jahr 2020 waren es satte 60 Prozent. „Und das, obwohl wir nur rund 25 Prozent der Kunden bedienen konnten, weil die Nachfrage einfach zu groß war“, so Petzel weiter. Obwohl die Umsätze gerade in der vergangenen Zeit exorbitant hoch waren, droht jetzt der Liquiditätsverlust. „Denn wir haben Ware eingekauft, dafür sogar Darlehns aufgenommen und können jetzt nicht mehr den Umsatz gegensteuern“, bringt der Fachhändler das Problem auf den Punkt. „Wir machen die Bestellungen bei den Lieferanten ein Jahr im Voraus. Ich sehe schon jetzt, dass wir im Sommer nächsten Jahres wieder mit zu wenig Ware ausgestattet sind, weil wir nicht nachbestellen können, da die Lager aktuell aus allen Nähten platzen.“

Umsatzverluste seit gut acht Wochen

Seit rund acht Wochen bricht der Umsatz bei den Händlern ein. „Zurzeit ist die Situation eher so, dass Verbraucher gar nicht davon ausgehen, dass sie Fahrräder bekommen, weil in den Medien von Warenknappheit und Lieferschwierigkeiten berichtet wird. Das stimmt aber ganz und gar nicht“, kann auch Peter Bomm vom gleichnamigen Radsporthandel Bomm aus Bottrop und Dorsten berichten. „Oftmals ist es eher so, dass Kunden in unsere Läden kommen und völlig erstaunt sind, dass ausreichend Fahrräder und E-Bikes jeder Kategorie sofort verfügbar sind. Dadurch entsteht eine Kaufzurückhaltung die der Unwissenheit und dem Mangel an aktueller Berichterstattung geschuldet ist“, ärgert sich der Fachhändler, der sich in einem Netzwerk mit Kollegen austauscht. Jörg Petzel hat sich die Lösung selbst „zusammengereimt“. „Im August fing es spontan an ruhiger zu werden. Erst habe ich das auf die Sommermonate geschoben, die Menschen durften in den Urlaub fahren und konnten ihr Geld wieder für andere Sachen ausgeben. Doch auch zu den Herbstferien kam niemand. Da habe ich mich mal informiert und herumtelefoniert“, berichtet er. Das Ergebnis war stets das Gleiche: Die Lager sind voll, die Kunden bleiben aus. „Gerade der stationäre Handel hat sich im Vorfeld auf die zu erwartenden Lieferengpässe vorbereitet und dementsprechend Ware frühzeitig bestellt“, so Michael Günther vom BikeSport aus Havixbeck.

Auch der Verkaufsraum des Fachhändlers ist gut gefüllt

Foto: Tanja Bamme

Provisionszahlungen für Mitarbeiter bleiben aus

Für die Fahrradbranche ist der Einbruch fatal und ist weitreichender, als zunächst gedacht. „Seit August konnte ich für meine rund 30 Mitarbeiter keine Provision mehr auszahlen, das macht aber 20 Prozent deren Einkommens aus. Auch Weihnachtsgeld wird es in diesem Jahr nicht geben“, klärt Petzel auf, der zudem einem persönlichen Problem in Bochum entgegenblickt. Die Verkaufs- und Werkstattflächen wird derzeit vergrößert. „Ich hätte wegen der Corona-Bestimmungen zwar sowieso umbauen müssen, aber das macht mir das Leben jetzt zusätzlich schwer.“ Bei Verena Braselmann vom Rockers Bikeshop aus Wuppertal kamen die Umsatzeinbußen im September. „Ich habe erst im Mai vergangenen Jahres geöffnet und hatte ein sehr gutes erstes Jahr. Der November 2020 schlug aber mit einem Umsatzminus von 50 Prozent zu Buche. Das ist wirklich enorm“, so die Fachhändlerin. Vier Millionen Räder setzt der lokale Fachhandel jährlich in Deutschland um. Im Jahr 2020 waren es gut 5,5 Millionen Fahrräder, ein Großteil davon waren E-Bikes. Dass eben diese Mobilitätsalternative auch eine Lösung zum Umweltproblem darstellt, dessen ist sich Jörg Petzel sicher. „Der Bedarf an Rädern ist groß, im letzten Jahr hatten wir zehn Kaufanfragen täglich. Jetzt kommt alle drei Tage mal eine Anfrage. Die Menschen sind verunsichert, sie denken wir sind leergekauft. Das berichten mir auch immer wieder Kunden. Dabei wollen die Menschen Fahrräder kaufen. Laut einer Studie unseres Verbandes wird davon ausgegangen, dass rund 16 Millionen Deutsche in den nächsten Jahren aufs Rad umsteigen werden. Und dann wird berichtet, wir sind leergekauft.“

Ein Umbau kommt zum Verkaufsproblem noch hinzu, die Verkaufsfläche und die Werkstatt in Bochum sollen größer werden

Foto: Tanja Bamme

Werbung und Aufklärung ist unabdingbar

Mit lokaler Werbung soll diese Fehlinformation gegengesteuert werden. Auch die Zweirad-Einkaufsgenossenschaft (ZEG) hat bereits auf das Problem in einem Pressetext hingewiesen. „Aber das lesen unsere Endkunden natürlich nicht“, weiß Petzel. Und auch die Aufrufe in den sozialen Medien bringen für Verena Braselmann nicht den erhofften Erfolg. „Unsere Zielgruppe ist zwischen 40 und 50 Jahre alt. Die gucken nicht bei Instagram nach“, ist sie sich sicher. Was bleibt ist die Ungewissheit, wann die Kunden wieder den Weg ins Fachgeschäft wagen. „Bis dahin werden wir weiter auf uns aufmerksam machen“, versichert Jörg Petzel, der abschließend betont, dass er sein Risiko als Unternehmer zwar kennt, eine solche Situation aber nicht selbstverschuldet ist. „Ein Fahrradgeschäft zu betreiben ist Leidenschaft und da stehe ich bis heute hinter. Aber ganz ohne Kunden können wir nicht existieren.“

(taba)