Kultur: „All the ways to say I love you“ Lügen, Einsamkeit und eine verhängnisvolle Affäre mit einem Schüler
Wuppertal · Regisseurin Julia Wolff feiert ihr Debüt mit „All the ways to say I love you“.
Kann man das Gewicht einer Lüge messen? Bei Faye Johnson ja, ihre Lüge wiegt 2800 Gramm. Faye ist Lehrerin mit Leib und Seele und, wie sie nicht aufhört zu betonen, mit Eric glücklich verheiratet. Dennoch lässt sie sich auf eine Affäre mit einem ihrer Schüler ein.
In einem schonungslosen Rückblick wird in dem Stück „All the Ways to Say I Love You“ des amerikanischen Autors Neil LaBute ihre Lebenslüge entlarvt. Faye ist weiß und im weißen Kostüm sitzt sie zu Beginn des Solos auf dem kleinen, an Schülertische erinnernden Podest, das als Bühne dient. Sie wirkt einsam auf ihrem Stuhl und, wie sich im Rückblick herausstellt, ist sie es auch. In einem gnadenlosen Seelen-Striptease taucht sie in ihre Erinnerungen ein, verschönt und verklärt zunächst, bis hin zur bitteren Erkenntnis ihres Lügengebäudes. Ihr Mann Eric ist dunkelhäutig.
Sie möchten Kinder haben, doch es klappt nicht. Nach Faye ist das besonders für Eric ein Problem. Sie seziert ihre Beziehung, Liebe ja, Lust nein bedeutet für sie ihre Ehe. Und dann kommt Tommy, einer ihrer Schüler. Sie weiß, wie fahrlässig ihr Verhalten ist und gerät doch immer tiefer in den Sog eines haltlosen Begehrens, Die sexuelle Erfüllung die sie bei ihm und nicht in ihrer Ehe findet, lässt sie den Verrat an ihrem Mann begehen.
Unter dem Regiedebüt von Julia Wolff agiert die Schauspielerin Beate Rüter. Sie füllt das Eine-Frau-Stück mit dem langen und konzentrierten Monolog mit beeindruckender Präsenz. Selbstbewusst und emanzipiert zu Beginn bleibt nach knapp anderthalb Stunden eine einsame und verzweifelte Frau zurück, die sich durch das Labyrinth ihrer Verstrickungen, ihrer Sehnsucht und Einsamkeit kämpft. Lügen und Vertuschung bestimmten lange ihr Leben, gleichzeitig aber auch die Sehnsucht nach Liebe und begehrt zu werden. Das glaubte sie bei Tommy zu finden. Benutzte sie ihn, war er die Erfüllung ihrer Träume oder vielleicht beides. „Er war Mittel zum Zweck“, erklärt sie, die zuvor von „atemberaubenden Treffen“ schwärmte und davon, sich „nicht zu schämen“. Intensiv bringt Rüter die innere Zerrissenheit auf die karge, nur mit Stühlen ausgestattete Bühne. Das lustvolle Erinnern an Tommy, das Zweifeln an ihren Entscheidungen.
Was wusste der Mann
über die Affäre der Frau?
Ihre inzwischen 16-jährige Tochter die bei der Geburt 2800 Gramm wog, ist das Ergebnis ihrer damaligen Affäre. Ist das ihrem Mann bewusst? Faye ist sich nicht sicher. Live-Video Aufnahmen der Schauspielerin von Sol Hüttich ergänzen die Aufführung. Im Großformat werden sie, im Wechsel mit vorproduzierten Videos, auf die rückwärtige Leinwand projiziert. Ihre, zunächst verdrängte Schuld bahnt sich den Weg nach außen, die Vergangenheit holt die doch so rationale Faye erbarmungslos ein. Das Verhältnis zur Tochter ist schlecht, sie ist im Grunde und war es vielleicht immer, allein. Es schellt zur Unterrichtsstunde, Faye wäscht den Tisch, sich selber und taucht ihren Kopf in den Wassereimer. Ist ein Abwaschen der Schuld möglich?
Lang anhaltender und verdienter Applaus für eine sehenswerte Aufführung von Beate Rüter und ein beeindruckendes Regiedebüt von Julia Wolff. Gerne mehr davon.