Doppelte Flächennutzung Unter Solarmodulen wachsen Früchte
Grevenbroich/Garzweiler · RWE forscht am Tagebau an der Zukunft der Landwirtschaft – in Form einer Agri-PV-Anlage. NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur hat den besonderen Solarpark nun besucht. Flächenkonkurrenz ist derzeit ein großes Thema, sagt sie.
60 Prozent der Fläche von Nordrhein-Westfalen geht derzeit an die Land- und Forstwirtschaft. Und in Zeiten, in denen Bauern mit immer spitzerem Bleistift die Wirtschaftlichkeit ihrer Unternehmen kalkulieren müssen, kommt durch die Energiewende immer mehr Flächendruck hinzu. Der mehr als ehrgeizige Plan der schwarz-grünen Landesregierung: Wenn 2030 die Braunkohleverstromung endet, müssen die erneuerbaren Energien in Nordrhein-Westfalen so weit sein, zumindest mittelfristig die Versorgung von Bevölkerung und Wirtschaft sicherstellen zu können.
Wind- und Solarkraft brauchen Fläche und stehen damit in direkter Konkurrenz zur Landwirtschaft. Ein großer Modellversuch am Tagebau Garzweiler könnte eine Lösung aufzeigen: Bei der Agri-PV bauen Landwirte am Boden ihre Früchte an, darüber erzeugen Fotovoltaikanlagen Solarenergie.
„Ernte und Energiegewinnung sind auf einer Fläche möglich. Es muss kein ,oder‘, sondern kann auch ein ,und’ sein“, sagt NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) über den Modellversuch, den Tagebaubetreiber RWE und das Forschungszentrum Jülich unweit des „Tagebau-Highways“ gemeinsam gestartet haben. Das Land unterstützt das Projekt mit 650 000 Euro.
Ein halbes Jahr nach Inbetriebnahme wachsen auf der sieben Hektar großen Fläche an der A44n schon die ersten Früchte – die Himbeeren schmecken bereits. Insgesamt sind es drei verschiedene Solarstrommodelle, die auf dem Tagebaugebiet im Süden von Garzweiler (offiziell liegt der Park auf Bedburger Grund) getestet werden. Bei einer Variante sind die Solarmodule fest und senkrecht montiert, genau ausgerichtet nach Osten und Westen. Beim zweiten Modell sind die Module auf einer beweglichen Achse befestigt und können der Sonne folgen. „Morgens zeigen sie nach Osten, abends stehen sie im Westen“, erklärt Projektmanager Andreas Schulz. Eine dritte Anlage enthält Module, die auf einer festen, gekippten Unterkonstruktion montiert sind. Darunter wachsen derzeit Klee und Gras sowie Himbeeren. Nächstes Frühjahr sollen Getreide, Gemüse und Kartoffeln gepflanzt werden.
Das wiederum macht die PV-Anlagen effektiver. Durch die Pflanzen ist es auf der Oberfläche deutlich kühler, als wenn die Anlagen auf plattem Ackerland stünden – und die Solaranlage arbeitet besser, wenn sie nicht heiß wird.
Mehr als 3600 Megawattstunden sollen die drei Anlagen pro Jahr einbringen und ins Netz einspeisen, mehr als 3,2 Megawatt sind an Leistung installiert. 1040 Haushalte können damit mit grünem Strom versorgt werden, erklärt Katja Wünschel, die bei RWE die Geschäfte mit erneuerbarer Energie in Europa und Australien verantwortet. „Da fruchtbare Böden eine knappe Ressource sind, müssen wir verantwortungsvoll und effizient damit umgehen. Der große Flächenbedarf für den weiteren Ausbau der Solarenergie macht die Symbiose von Ackerbau und Solarstromerzeugung besonders wertvoll. Denn so lässt sich eine doppelte Ernte einfahren“, sagt sie.
Forscher möchten auf der Fläche Erkenntnisse gewinnen
Die Stromgewinnung ist auf der Modellfläche allerdings nur nebensächlich. Denn vor allem geht es den Forschern darum, Erkenntnisse zu gewinnen. Was am Tagebau erforscht wird, soll möglichst schnell auch in der freien Wirtschaft Anwendung finden. „Dieses Vorhaben ist deshalb ein wichtiger Baustein für uns“, erklärt Ulrich Schurr, Direktor des Instituts für Pflanzenwissenschaften am Forschungszentrum Jülich. „Wir erhalten sehr viele Anfragen von Landwirten.“
RWE baut rund um Garzweiler derzeit viel Solarenergie auf. Auf einer weiteren Fläche entsteht ein 20 Hektar großer Solarpark. In Zukunft wird über Floating-PV, also schwimmende Fotovoltaikanlagen, auf dem sich füllenden Restsee nachgedacht, wie Tagebau-Chef Michael Eyll-Vetter sagt.
Und wenn der Braunkohleabbau in wenigen Jahren der Geschichte angehört, sollen auch die Zwischensolen in der Kohlegrube mit Solarparks bestückt werden. „In den Jahrzehnten, bis das Seewasser dort angekommen ist, können wir so Energie gewinnen“, erklärt Eyll-Vetter.