Der lebende Adventskalender
In der Adventszeit laden die Giesenkirchener jeden Abend für eine halbe Stunde zum gemütlichen Treff vor der eigenen Haustür ein. Wenn eine Zahl im Fenster hängt, weiß man: Hier bin ich willkommen.
Mönchengladbach. Es regnet. Das macht aber nichts. Familie Semmler stellt Stehtische, Kerzen, Plätzchen und Tee einfach in die Garage: „Leider können sich die Gäste jetzt unser geschmücktes Fenster nicht ansehen“, bedauert Brigitte Semmler und reicht den Teller mit dem Selbstgebackenen in die Runde. Das schlechte Wetter hat die Besucher nicht abgehalten.
Über 20 Gäste wärmen sich mittlerweile in der Garage an der Emondsstraße in Giesenkirchen — adventlich gestimmt und in dicke Jacken gehüllt: „Wir kennen uns aus der Nachbarschaft oder der Gemeinde“, erzählt die Gastgeberin. Die Idee, jeden Abend im Advent für eine halbe Stunde zum gemütlichen Treff vor der eigenen Haustür einzuladen, ist nicht neu.
Die evangelische Kirchengemeinde in Giesenkirchen und Dohr organisiert den lebendigen Adventskalender allerdings in ihrem Stadtteil zum ersten Mal: „Wir wollen einen kleinen Ruhepunkt im hektischen Adventsbetrieb schaffen“, sagt Pfarrer Albrecht Fischer. Er ist begeistert von der Resonanz bei seinen „Gemeinde-Schäfchen“. Der Kalender ist fast voll. Für beinahe jeden Tag im Advent hat sich ein Gastgeber gefunden.
Andreas Tietz ist katholisch und dennoch willkommen: „Die Sache ist einfach gelungen. Hier kommt kein Unfrieden auf“, findet der Giesenkirchener. Seine Tochter Mona ist dabei, „weil ich Weihnachten so mag“, erzählt die 14-Jährige. Karl Schönen und Rosemarie Hoge freuen sich, außerhalb des üblichen Gemeindelebens nette Bekannte zu treffen.
Zu den Spielregeln gehört es, Tee zu reichen und etwas Weihnachtliches vorzutragen. Brigitte und Jochen Semmler — er war einige Jahre Gladbachs Oberstadtdirektor — haben sich Gedichte und eine Weihnachtsgeschichte ausgesucht.
Anschließend verteilt Pfarrer Fischer die Liederbücher, und alle stimmen gemeinsam „Macht hoch die Tür“ an: „Kann ich noch jemandem etwas Gutes tun“, fragt der Gastgeber, da ist die halbe Stunde Besinnlichkeit auch schon vorbei.
Pünktlich um 19 Uhr packen die Gäste ihre Teebecher ein, werfen noch schnell einen Blick auf das mit Tannenzweigen, Sternen, Kugeln und Kerzen geschmückte Fenster und ziehen ihrer Wege: „Bis zum nächsten Mal“, verabschiedet sich auch Pfarrer Fischer — bestens gelaunt.