„Sein Charme war sein Panzer“
„Diamanten Eddie“ war im Mönchengladbach der Nachkriegszeit so beliebt wie berüchtigt. Seine Enkelin hat sein Leben nun in ein Buch gefasst — und stellt es in Gladbach vor.
Mönchengladbach. 1939, beim ersten Fliegerangriff der Deutschen auf das südostpolnische Zamosc, wird Edward Kray mit fünfzehn Jahren als Zwangsarbeiter nach Deutschland verschleppt. Er überlebt das Arbeitslager und bleibt auch nach 1945 in Deutschland, am längsten in Mönchengladbach.
Als „Diamanten Eddie“ wird Kray dort zum erfolgreichen Hehler und Dieb. Aber die schlimmen Erinnerungen an den Krieg lassen ihn nie los. Seine Enkelin Sabine Kray hat nach langen Recherchen nun einen Roman aus seinem Leben gemacht — den stellt sie morgen Abend im Buchladen Prolibri vor.
Frau Kray, haben Sie Ihren Großvater je persönlich kennengelernt?
Sabine Kray: Nein, er ist 1994 verstorben. Mein Vater hatte ein Jahr nach meiner Geburt den Kontakt zu ihm abgebrochen. Es ist eine schwierige Vater-Sohn-Beziehung, wenn der Vater ein Dieb ist und im Gefängnis sitzt.
Wer hat Ihnen zuerst vom bewegten Leben Ihres Großvaters erzählt?
Kray: Es war mein Vater, der mir davon erzählt hat, aber in vielen kleinen Anekdoten, die skurril waren und die ich nicht weitererzählen sollte.
Und jetzt haben Sie ein ganzes Buch darüber geschrieben.
Kray: (lacht) Ja, jetzt erzähle ich allen Leuten seine Geschichte. Die Anekdoten haben erst den Anstoß gegeben, herauszufinden, was dahinter steckte.
Juwelendieb, Society-Größe, Überlebender der Arbeitslager — das Leben ihres Großvaters klingt wie das eines Getriebenen. Kam er je zur Ruhe?
Kray: Zur Ruhe zu kommen war das, was er stets versucht hat zu vermeiden. Für viele Menschen, die unter einem Trauma leiden gilt es, den Motor stets am Laufen zu halten, Erfolg zu haben, sonst drohen einen die Erinnerung einzuholen. Meinen Großvater haben die schlimmen Erinnerungen am Ende eingeholt.
Wie kam es, dass er nach dem Krieg in Mönchengladbach geblieben ist?
Kray: Das ist eine Frage, die ich mir auch häufig gestellt habe. Warum ist er nicht nach Köln gegangen, oder nach Berlin? Ich glaube es war, weil er in Mönchengladbach die Chance hatte, der großartige Typ zu sein, der er war. Eben einzigartig zu sein. Er hat sich inszeniert als gut gekleideter Herr, der an der Theke gerne einen ausgibt und in den Bars seine Kartentricks zeigt.
Auch Günter Netzer hat Edward Kray gekannt. . .
Kray: Ja, er war Stammgast in Netzers Lokal „Lover’s Lane“. Auch meinen Vater hat er mal mit dorthin genommen. Bei meiner Recherche zum Buch habe ich mit Günter Netzer telefoniert. Er hat sich sofort an meinen Großvater erinnert, daran, wie er nächtelang mit ihm in der Garderobe gequatscht hat. Am Ende unseres Gesprächs sagte Günter Netzer: „Ich danke Ihnen für die nette Erinnerung.“ Das fand ich sehr schön.
Trotz seiner kriminellen Energie ist „Diamanten Eddie“ gut angekommen. . .
Kray: Ich glaube, das hatte schon so eine gewisse Magie bei ihm. Er war jemand, der sich sehr direkt anderen Menschen angenähert hat. Er hat sich viele Freunde gemacht, gerade weil er sich nach dem Straflager und allem trotzdem eine gewisse Empfindsamkeit erhalten hat. Er hat sich nicht zurückgezogen, sein Charme war sein Panzer.
Ihr Buch ist ein Roman, keine Biografie. Wie viel darin ist vermutet, frei interpretiert oder erfunden?
Kray: Das ist eine ganz schwierige Frage. Der Verlauf des Buches war klar, weil er sich an der Geschichte meines Großvaters orientiert. Die einzelnen Etappen habe ich mir vorgestellt als verschiedene Räume. Ich habe ein halbes Jahr lang nur recherchiert, und die Räume dann mit den Ergebnissen möbliert. Jene Räume, die dann noch zu karg waren, habe ich mit meiner Fiktion eingerichtet, mit Gesprächen oder ganzen Episoden.
Welche zum Beispiel?
Kray: Die Jahre 1945 bis 1948 waren nahezu leere Räume. Ich hatte nur ein Foto von ihm mit seiner ersten Freundin Marianne. Hinten drauf stand „Düsseldorf“, daher wusste ich, wo er war. Ich habe mir überlegt, wie mein Großvater zum Dieb und Hehler werden konnte. Nach dem Krieg ging viel über den Schwarzmarkt, Alliierte verkauften Essen an Deutsche. Dabei fungierten häufig Verschleppte als Mittelsmänner. Das habe ich meinem Großvater zugeschrieben.