Die neue Gastbeitragsreihe beschäftigt sich mit Alltagsrassismus in Wuppertal „Die wählen sowieso nicht“

Der Artikel 38 des Grundgesetzes erinnert uns daran, dass Wahlstimmen unter anderem allgemein und gleich ausgedrückt werden. Das Wahlrecht, die Wahlen und der Prozess der Willensbildung sollten wir schätzen und pflegen.

Jade Madani.

Foto: Fischer, Andreas H503840

Politik regelt unser Zusammenleben. Wahlen spielen dabei eine besondere Rolle. Sie sind eine Ausdrucksart der Souveränität unserer Gesellschaft. Gerade deshalb kommt es auf jede Stimme an. Der Artikel 38 des Grundgesetzes erinnert uns daran, dass Wahlstimmen unter anderem allgemein und gleich ausgedrückt werden. Das Wahlrecht, die Wahlen und der Prozess der Willensbildung sollten wir schätzen und pflegen.

Umso erstaunlicher ist die Situation, die mir, einem Politikberater, widerfahren ist. Bei der Strategievorstellung einer Wahlkampagne diskutierte ich mit dem Kandidaten über die Zielgruppen. „Wir sollten mögliche Andockstellen zu Wählern mit Migrationshintergrund finden“, stellte ich fest. „Brauchen wir nicht. Die wählen sowieso nicht“, wurde mir abrupt mitgeteilt. Ein Schock.

Wollen wir Politik nur für diejenigen machen, die sich sichtbar organisieren, ihre Vorstellungen medienwirksam ausdrücken und Stimmungen in den sozialen Medien erzeugen können?

Das Forschungsinstitut „minor“ bestätigt in einer Studie, dass Wähler mit Migrationshintergrund mit 74,6 Prozent etwas weniger von ihrem Stimmenrecht Gebrauch machen, als Wähler ohne Migrationshintergrund (87,2 Prozent). Zum anderen spielen Subfaktoren wie das soziale Milieu und das Wohnquartier -unabhängig vom Migrationshintergrund- eine entscheidende Rolle.

Wie will Politik so das Zusammenleben regeln? Lassen wir uns nicht auf diesen demokratischen Streit ein, entsteht ein Vakuum für demokratiefeindliche Tendenzen wie wir sie in der Form von identitären Erdogan-Anhängern und nationalistisch angehauchten AfD-Sympathisanten tagtäglich erleben. Demokratie leben ist die Antwort auf Integrationshemmnisse, Misstrauen und konfliktgeladene Parallelgesellschaften.

Rund 40 Prozent der Wuppertaler haben einen Migrationshintergrund. Doch sollten die Fraktionen die über 100 Migrantenselbstorganisationen im Tal nicht als bloßes Stimmvieh betrachten. Die politischen Akteure können von der Lebensrealität, dem Engagement der Menschen und dem inhaltlichen Input enorm profitieren.

Die SPD Wuppertal hat dies schon erkannt und tingelt seit dem Winter bei den vielen Kulturvereinen und Gemeinden umher, um für die nötigen Stimmen im Herbst zu sorgen. Ob das für eine nachhaltige Beziehung ausreicht, wird sich zeigen.

Der Frust über mangelnde Beteiligung kann aber auch in positiver Energie umgewandelt werden. So hat sich im Tal die Initiative „Power of Color“ gegründet. Wuppertaler mit den verschiedensten Wurzeln wollen sich dabei in einer Liste aufstellen und für die diesjährigen Integrationswahlen wählen lassen. Da kann man der Stadtgesellschaft nur raten, diese authentische Initiative zu fordern und zu fördern.

Wie ist die Geschichte mit dem Kandidaten ausgegangen? Ich habe mir erlaubt, die Mehrarbeit zu leisten, diese Andockstellen zu finden und Menschen zusammenzubringen. War der Erstkontakt noch mit Skepsis auf beiden Seiten geprägt, wurde die Zusammenarbeit intensiver und der Umgang herzlicher. Der Kandidat war dankbar für die neuen Freundschaften und die Verantwortlichen der Vereinigungen fühlten sich bestärkt Teil dieser Gesellschaft zu sein. Eine Win-win-Situation für alle Beteiligten.

Sich aus der Komfortzone zu wagen, wird immer belohnt. Trauen Sie sich mal, bei ihrem Nachbarn anzuklopfen. Hört sich methodisch etwas nach den Zeugen Jehovas an, aber das macht nichts. Ein Gespräch auf Augenhöhe ist die praktische Verwirklichung des Gleichheitsgrundsatzes des Grundgesetzes. Und sollten Ihnen und Ihrem Nachbarn die Themen ausgehen, machen Sie das, was wir Wuppertaler am besten können: meckern.