Vor 40 Jahren NS-Verbrechen: Düsseldorfer Rechtsanwalt erinnert sich an Majdanek-Prozess

Düsseldorf · Der Düsseldorfer Rechtsanwalt Dieter Hanschel erinnert sich an ein spektakuläres Strafverfahren vor 40 Jahren. Damals ging es um die NS-Verbrechen im Konzentrationslager Majdanek.

Das Landgericht verurteilt am 30. Juni 1981 die 61jährige Angeklagte, die frühere SS-Aufseherin Hermine Ryan (M.), hier mit ihrem Verteidiger.

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Er war einer der Pflichtverteidiger im längsten und spektakulärsten Strafprozess der deutschen Rechtsgeschichte. Dem Prozess, in dem an 475 Verhandlungstagen die grauenvollen Verbrechen aufgearbeitet wurden, begangen im Konzentrationslager Majdanek nahe des polnischen Lublin. Nun steht der Düsseldorfer Rechtsanwalt Dieter Hanschel an der Stelle, wo sich einst das Landgericht Düsseldorf befand. Hier fand von November 1975 bis Juni 1981 das spektakuläre Verfahren statt. Längst ist das Gericht in einen anderen Stadtteil umgezogen. Die bombastische Eingangshalle des ehemaligen Gerichts ist heute der repräsentative Eingangsbereich einer Ansammlung von Luxus-Wohnungen, das Andreas-Quartier in der Düsseldorfer Altstadt. Vier Jahrzehnte ist es her, dass Hanschel hier fünfeinhalb Jahre seiner Arbeit als Verteidiger eines der neun Angeklagten nachging. Eine vertraute Stelle, die ihm fremd geworden sei, sagt er nun, an diesem Dienstag, exakt 40 Jahre nach Ende des Prozesses.

Ehemalige SS-Angehörige des Konzentrationslagers Majdanek bei Lublin waren wegen Mordes und Beihilfe zum Mord in zehntausenden Fällen angeklagt. Überlebende aus der ganzen Welt kamen als Zeugen nach Düsseldorf, um hier über ihre schrecklichen Erlebnisse in Majdanek zu sprechen. Vor dem Hintergrund des längst wieder offen zu Tage tretenden Antisemitismus gedenken die  Jüdische Gemeinde Düsseldorf, die Evangelische und Katholische Kirche und die Mahn- und Gedenkstätte in Düsseldorf des Prozesses und der darin ans Licht gekommenen Untaten.

Das Andreas-Quartier auf der Mühlenstraße 34 hat einen Teil seines Eingangsbereichs zur Verfügung gestellt, auf dem sich Besucher seit Dienstag kostenlos die acht Tafeln ansehen können, auf denen die Mahn- und Gedenkstätte das Geschehen zusammengefasst hat. Da steht zum Beispiel, was Zeugen über die zu zwölf Jahren Haft verurteilte Lageraufseherin Hildegard Lächert sagten: „Sie ist immer erst zufrieden gewesen, wenn bei ihren Schlägen und Tritten mit ihren eisenbeschlagenen Stiefeln Blut floss.“ Die Peitsche sei ihr an die Hand gewachsen gewesen.

Der Düsseldorfer Rechtsanwalt Dieter Hanschel.

Foto: Jochmann, Dirk (dj)

Jurist Dieter Hanschel sagt nun, die Erinnerung an den Prozess sei Jahrzehnte für ihn mit den Akten und Notizen im Keller verschwunden gewesen. Er habe das alles vergessen wollen, doch am Ende konnte er das doch nicht. Er erinnert sich, wie schwer es gerade für die jungen Verteidiger in dem Prozess war, wenn sie, selbst junge Väter, in den Zeugenvernehmungen hörten, wie brutal in dem KZ auch Kinder zu Tode misshandelt wurden. Die Aktenberge, durch die er sich arbeiten musste, hätten ihm böse Träume bereitet, die auch nach Prozessende nicht aufhörten. Wie da Menschen vergast, erschossen, ertränkt, erhängt, von Hunden zerfleischt und zu Tode geschlagen wurden.  Es habe lange gedauert, bis er und seine Kollegen die emotionalen Schäden, die der Prozess bei ihnen hinterlassen habe, überwunden hätten.

Wie kam Hanschel damit klar, dass er einer der zwei Verteidiger des freigesprochenen Angeklagten war? Ein Anwalt sei dem Wohl des Mandanten verpflichtet, sagt er. „Was ich und mein Kollege dabei dachten, steht auf einem ganz anderen Blatt. Ob das Urteil gerecht war, kann ich nicht sagen.“

Es gab damals große öffentliche Proteste über zu milde Urteile, nur eine Angeklagte, die Aufseherin Hermine Braunsteiner-Ryan, wurde zu lebenslang verurteilt, andere kamen mit dreieinhalb bis zu zwölf Jahren Freiheitsstrafe davon. Eine der Tafeln im Andreas-Quartier, die das Geschehen dokumentieren, zeigt, welche Stimmung nach Prozessende herrschte: „Die als zu milde wahrgenommenen Strafen führten zu Tumulten im und vor dem Gerichtsgebäude: junge Düsseldorferinnen und Düsseldorfer veranstalteten einen Protestmarsch, Transparente hingen vor dem Eingang, Antifaschisten stürmten zum Gerichtssaal. Die Mühlenstraße wurde spontan in Majdanek-Straße umbenannt. Internationale Fernsehteams, Journalistinen und Jornalisten sowie Demonstanten bevölkerten den Platz vor dem Gerichtsgebäude.“

Bastian Fleermann, Leiter der Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf, die aktuell auch Porträts der Beteiligten des Majdanek-Prozesses zeigt, hat sich für die Ausstellung im Andreas-Quartier intensiv mit dem damaligen Geschehen auseinandergesetzt. Er sagt: „Das Interessante an dem Prozess ist, dass er eigentlich so abläuft, wie wir uns das heute nicht mehr vorstellen können. Es sitzen Alt-Nazis im Publikum, die lautstark ihre Solidarität mit den Angeklagten  kundgeben. Es gibt immer wieder Eklats und  Unterbrechungen. Man muss sich vorstellen, dass über 350 Zeugen aus der ganzen Welt nach Düsseldorf eingeladen werden. Und dass traumatisierte Überlebende, die ihre sämtlichen Familienangehörigen in Majdanek verloren haben und selbst dort Häftlinge waren, nun angepöbelt werden von völlig rücksichtlosen Verteidigern.“

Fleermann spricht im Präsens, als sei das alles Gegenwart. Und zu Gegenwart macht auch ein Ensemble von Schauspielern den Prozess noch einmal. „Im Process“ heißt das Stück, basierend auf Dokumenten über eben diesen Prozess. Gezeigt wird es mehrfach im Rahmen des Kulturevents Asphaltfestival (asphalt-festival.de). Christof Seeger-Zurmühlen, Regisseur des Theaterkollektivs Pièrre.Vers begründet, warum das Stück „Im Process“ heißt. Eben weil der Prozess der Auseinandersetzung mit dem Thema immer noch nicht abgeschlossen  sei.