Öffentlicher Dienst: Streik trotz Corona

zu „Ver.di geht es um Profilierung“, WZ vom 2. Oktober

Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi hat erneut zu einem flächendeckenden Warnstreik im Nahverkehr von Nordrhein-Westfalen aufgerufen.

Foto: Daniela Sztajgli

Vorweg gesagt, die betriebliche Macht ist nicht nur die Voraussetzung, dass die Gewerkschaften es sich leisten können, vor Ort den Mund aufzumachen – sie ist die Basis für die Handlungsfähigkeit in der politischen Auseinandersetzung. D.h. nur hohe Mitgliederzahlen führen zu starken Gewerkschaften als Gegenpart zu Arbeitgebern im privaten oder öffentlichen Bereich.

Wieso sollte der Eindruck entstehen, dass die Gewerkschaft Ver.di eine Eigenprofilierung betreibt? Wer ist denn die Gewerkschaft – das sind ihre Mitglieder! Und viele Beschäftigte im öD sollten unbedingt mehr Geld verdienen, denn sie üben die sogenannten systemrelevanten Berufe aus. Deshalb ist festzuhalten, dass ein Arbeitskampf in der freiheitlichen Gesellschaft- und Wirtschaftsordnung in unserer BRD ein fester Bestandteil des kollektiven Arbeitsrechts und der Tarifautonomie ist, und nicht in Frage gestellt werden sollte.

Das sich seit einigen Jahren der stationäre Einzelhandel immer schlechter entwickelt ist m.E. in erster Linie ein strukturelles Problem. Das verkaufsoffene Sonntage zusätzlich Umsätze bringen ist standortbedingt nicht generell zu verallgemeinern. Zum Beispiel in Magdeburg wollen Händler keine Lockerungen bei den verkaufsoffenen Sonntagen, da dies nicht mehr Umsatz bringt, sondern einen stärkeren Verdrängungswettbewerb. Wenn Ver.di juristisch gegen die Sonntagsarbeit vorgeht, vertritt sie auch ihre Mitglieder im Handel mit dem Verweis auf Stress und die Unvereinbarkeit von Beruf und Familie. Der Sonn- und Feiertagsruhe messen im übrigen viele Landesregierungen einen hohen Stellwertwert zu. Zu guter Letzt, unter Millionen Pendlern gibt es sehr viele gewerkschaftliche organisierte Arbeitnehmer. Außerdem hat Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern verhältnismäßig wenig Streiktage.

Wolf Herbst, per E-Mail

Ich kriege eine Krawatte, wenn ich diese Forderungen der Gewerkschaften sehe. Haben diese Damen und Herren eigentlich den Knall noch nicht gehört? In Zeiten, wo hunderttausende Menschen unverschuldet wegen Corona um ihren Arbeitsplatz bangen und nicht wissen wie die Zukunft ihrer Familien aussehen, solche Forderungen zu stellen? Wissen die eigentlich wie sich ein Mensch in Kurzarbeit fühlt?

Ich z.B. arbeite im Reisegewerbe, habe im März wochenlang aus der Not heraus täglich 12 Stunden bei jedem Wetter in der Hallertau bei einem Landwirt Hopfen angeleitet. Danach bei einem Paketdienst im Verteilerzentrum bis 30 kg schwere Pakete aus Containern geladen und als LKW-Fahrer Sonn- und Feiertags gearbeitet, um meine Familie durchzubringen. Und das für einen Mindestlohn! Wie mir geht es sicherlich Hunderttausenden. Auch jetzt ist alles noch ungewiss was die Zukunft bringt. Tagtäglich Angst um den Jobverlust zu haben. Wenn dann alles vorbei sein sollte und gutgegangen ist, kommt das dicke Ende, wenn das Finanzamt kassiert und Steuernachzahlungen fällig sind. Weil man als Kurzarbeiter ja noch nicht genug gestraft ist. Progressionsvorbehalt nennt sich das dann. Na Prima!

Wo wollen die Damen und Herren im öffentlichen Dienst denn noch ihr Geld ausgeben, wenn Reisen nicht mehr möglich sind, weil es keine Reisebüros mehr gibt. Wenn keine Reisebusse mehr fahren, weil die Insolvenz sie erwischt hat. Wenn keine Kirmes mehr stattfindet, weil die Schausteller pleite sind. Wenn keine Gastronomie mehr existiert, weil keiner oder nur wenige das Angebot nutzen dürfen?

Aber das kümmert die Damen und Herren im öffentlichen Dienst und ganz besonders die Gewerkschaften ja nicht. Ihr Job ist ja Krisenfest. Denn mit jedem erstrittenen Prozentpunkt kassiert die Gewerkschaft ja fleissig von den Arbeitnehmern ja mit. Lassen Sie sich doch mal Abrechnungen von Mitarbeitern im öffentlichen Dienst mit den Zuschlägen zeigen. Ich meine nicht die der unteren Lohngruppen.  Denn ich möchte hier nicht alle über einen Kamm scheren. Die untersten Lohngruppen müssen angehoben werden. Altenpfleger, Krankenpfleger und auch die Busfahrer von Subunternehmern müssen angemessene Berücksichtigung finden, denn die haben auch eine angemessene Lohnerhöhung verdient. Differenzieren heißt das Zauberwort und nicht mit der Gießkanne an alle gleich viel raushauen was das Zeug hält. 4,8% von 1000€ sind 48,00. Bei 2000€ sind es schon 96,00€ und bei 3000€ sind es schon 144€. DAS soll gerecht sein? Wenn es umgekehrt wäre, also 144€ bei 1000€, dann wäre es gerecht und angemessen. Aber den vielen Kurzarbeitern und unschuldig in die Arbeitslosigkeit geratenen Menschen ist auch damit nicht geholfen.

Ingo Wagner, per E-Mail