Olga Grjasnowa im Heine-Haus „Ich möchte in allem gut sein, außer im Sport“
Die Schriftstellerin Olga Grjasnowa las im Heine-Haus aus ihrem neuen Roman.
Für Olga Grjasnowa war die Reise nach Düsseldorf ein Besuch bei Freunden. Bereits ihren ersten Roman hatte sie im Heine-Haus vorgestellt und war von den Buchhändlern Selinde Böhm und Rudolf Müller herzlich empfangen worden. Jetzt kam sie mit ihrem fünften Roman an die Bolkerstraße und fand dort wieder ein großes Interesse.
„Juli, August, September“ klingt wie der Ausschnitt eines Lebens. Tatsächlich sollten die drei Monate auch die Kapitelüberschriften des neuen Buchs bilden. Doch dann kam der 7. Oktober mit dem Angriff auf Israel, und die Autorin machte aus dem davor liegenden Monat einen „Glühend heißen Boden“. Vor Beginn der Lesung zeigte sich Journalist Lothar Schröder als Moderator beeindruckt: „Fünf Romane in zehn Jahren, dazu viele Preise, und jetzt bereits in Wien eine Professur für literarisches Schreiben. Sind Sie ehrgeizig?“ Olga Grjasnowa hat mit diesem Begriff kein Problem: „Ja, ich möchte in allem gut sein, außer im Sport.“
In dem neuen Roman unternimmt man mit der Protagonistin und Ich-Erzählerin Lou eine Reise von Berlin über Gran Canaria nach Israel. Man entdeckt ihre Familiengeschichte und begibt sich mit ihr auf Sinnsuche. „Der Roman hat natürlich autobiografische Züge“, erzählte Grjasnowa, „und es ist auch etwas, womit die Handlung spielt. Es ist nicht wirklich meine Autobiografie, aber es sind viele Dinge, die ich mit Lou gemeinsam habe.“
Lou ist Jüdin und als „Kontingentflüchtling“ aus Aserbaidschan nach Deutschland gekommen. Inzwischen bildet sie mit ihrem Mann ein wohlsituiertes Berliner Künstlerpaar, doch ihr stellt sich immer drängender die Frage, wie jüdisch sie sein will. Als Nachgeborene im Land der Täter. Wie jüdisch sollte sie ihre kleine Tochter erziehen? „Ich selbst bin einfach überhaupt nicht gläubig“, bekannte die Autorin, „wir halten es bei uns so wie viele Menschen, die christlich getauft wurden, sich nicht für Religion interessieren, aber natürlich Weihnachten feiern.“
Der Roman ist auch die Geschichte der eigenen Großmutter, von der die Autorin schon lange erzählen wollte. Eigentlich hätte sie hierfür Recherche-Reisen nach Belarus und Moskau unternehmen müssen, was derzeit nicht möglich war. Vielleicht bildet deshalb Lous skurriles Familientreffen auf Gran Canaria den unterhaltsamen Höhepunkt der Geschichte. Der fiktive Termin brachte bei der Lesung auch Grjasnowa auf Touren. Als der Moderator sie auf die Einladung ihrer Großtante Maya anlässlich ihres 90. Geburtstags ansprach, wurde er energisch korrigiert: „Von wegen Einladung! Maya hatte eine Reise gewonnen, mit All-Inclusive in einem eher bescheidenen Drei-Sterne-Hotel auf den Kanaren. Und jetzt sollte die ganze Mischpoke auf eigene Kosten dazukommen.“
Schröder bekannte, dass ihn vor allem die Dialoge dieses Familientreffens bestens unterhalten hätten. Die Autorin freute sich: „Ich will mich beim Schreiben auch selbst amüsieren. Und es macht Spaß, jemanden zu erfinden, der richtig fies ist.“
Nach vielen Jahren in Berlin hält ihr neues Leben in Wien eine besondere Erfahrung für die Autorin bereit: „Es ist die Sprache, die mich von den Menschen dort trennt. Man erkennt mich als Hochdeutsch sprechende Fremde. Damit muss ich zunächst einmal klarkommen.“