„Pinocchio“ kommt ins Junge Schauspiel Flunkern nur im Notfall

Düsseldorf · Frank Panhans inszeniert am Jungen Schauspiel den „Pinocchio“ als Bearbeitung des berühmten Textes von Carlo Collodi.

Szene aus „Pinocchio“ am Jungen Schauspiel Düsseldorf.

Foto: David Baltzer/Dhaus

Auf der Suche nach einem größeren Kinderstück fürs Junge Schauspiel, gern auch einem Klassiker in neuer Fassung, lag „Pinocchio“ förmlich in der Luft. „Ich mag diese Geschichte einer Menschwerdung, einer Reise ins Leben“, sagt Regisseur Frank Panhans: „Wir erzählen, dass man eigene Erfahrungen machen muss, um zu reifen, im guten wie im schlechten Sinn. Dazu gehört auch das Straucheln.“ Premiere an der Münsterstraße ist am kommenden Sonntag um 16 Uhr.

Dramaturgin Kirstin Hess nahm sich für die Inszenierung den Text von Carlo Collodi vor, geschrieben in Italien vor 140 Jahren als Fortsetzungsroman in einer Kinderzeitschrift. „Das Tolle am Aufspüren des Stoffs war für mich, dass ich das Buch aus meiner Kindheit noch besaß“, berichtet sie. Darin schnitzt der arme Tischler Geppetto eine Puppe aus Pinienholz. Mit ihr will er auf Jahrmärkten auftreten, um etwas Geld zu verdienen. Doch dann erwacht Pinocchio auf wundersame Weise zum Leben, kann laufen und sprechen. Neugierig macht er sich auf den Weg, die Welt zu entdecken, die ihm wie ein Abenteuer erscheint. Bei Verlockungen wird er schwach, statt zur Schule geht er lieber in ein buntes Zirkuszelt und überhört alle Warnungen. „Wir stärken diese unbekümmerte kindliche Perspektive, brechen eine Lanze für die Intuition, verdeutlichen aber auch, dass sie allein oft nicht ausreicht“, erklärt der Regisseur.

Die Theaterfassung erarbeiteten Hess und Panhans gemeinsam, und schnell war klar, was ihnen dabei wichtig war. Der pädagogische Zeigefinger der literarischen Vorlage und die ursprüngliche Moral der Geschichte verloren an Bedeutung. Dagegen soll einem jungen Publikum ab sechs Jahren im besten Fall die Erkenntnis vermittelt werden, wie man sein will und wer man ist. „Das Kindlich-Impulsive versuchen wir positiv zu deuten“, sagt Kirstin Hess: „Missgeschicke passieren, am Ende geht es darum, ein gutes Miteinander zu finden. Ein sehr heutiger Aspekt. Wir ringen als Gesellschaft um Regeln. Wer vergibt sie, wer muss sie einhalten?“

Diese Entwicklung macht auch Pinocchio auf seiner Reise durch. Das Stück zeichnet die Wandlung des hölzernen Helden nach. „Anfangs ist er ein unbeschriebenes Blatt ohne Prägungen“, beschreibt der Regisseur: „Er springt ohne Vorbehalte ins Leben und empfindet keine Empathie. Die wächst erst mit der Zeit, wenn er dazu gezwungen wird, Entscheidungen zu treffen.“ Seine Inszenierung ist reich an fantastischen Bildern, Tierfiguren, Marionetten, Tanz und Musik.

Themen wie Tod und Sterben werden nicht ausgespart, aber ohne Düsternis aufgefangen. Auch familiäre Nöte klingen an. „Die sind bettelarm und haben nichts zu essen“, sagt Panhans, „Geppetto besitzt nur noch eine Birne, und die muss er aufteilen.“ Wie schon „Das Pommes-Paradies“ beschäftigt sich auch „Pinocchio“ mit der Lebenswelt bedürftiger Kinder, ein Anliegen des Jungen Schauspiels.

Bei der Holzpuppe denkt man zuerst an die lange Nase, die Pinocchio beim Lügen wächst. Erstaunlich, denn tatsächlich kommt die Metamorphose im Roman nur ein einziges Mal vor. „An dieser Stelle wollten wir dann auch die Nase haben“, sagt Panhans, „ansonsten haben wir darauf verzichtet und das Thema nicht weiter ausgebaut. Wenn Pinocchio sich zum Flunkern verleiten lässt, geschieht es aus einer Bedrohung heraus.“

Auf der Bühne steht fast das gesamte Ensemble. Die Titelfigur spielt Ayla Pechtl, sechs andere Schauspielerinnen und Schauspieler teilen sich 19 Rollen. Man kann sich – wie in diesem Theater üblich – auf rasante und vergnügliche Kostümwechsel freuen.

Regisseur Frank Panhans, 1966 in Greifswald geboren, inszenierte für das Junge Schauspiel zuvor „Auf Klassenfahrt oder Der große Sprung“ und „Mr. Handicap“. Studiert hatte er Schauspiel an der Leipziger Hochschule, war in Berlin Mitbegründer des „Theaters des Lachens“.

Eine Gruppe von Kommilitonen und eine Puppentheater-Regisseurin setzten ernste Inhalte auf komödiantische Art um, gastierten bei Festivals und erlangten internationale Bekanntheit. „Es ist lange her, aber von dieser Arbeitsweise bin ich bis heute geprägt“, erzählt Panhans. Seit 2005 lebt er in Wien, unterrichtet dort als Professor an der Privatuniversität der Stadt Wien für Musik und Kunst das Fach Schauspiel. Drei seiner ehemaligen Studenten hat er jetzt im Düsseldorfer Ensemble wiedergetroffen.

Sein Herz schlägt für das Kinder- und Jugendtheater: „Vor zwei Jahrzehnten habe ich mich für diesen Schwerpunkt entschieden. Es macht mir Spaß, Kinder an Theater-Ästhetiken heranzuführen.“ Heute konzentriert er sich wegen seiner Lehrtätigkeit auf eine Produktion pro Jahr an renommierten Bühnen. Er selbst geriet über seinen Vater in diese Welt. „Er war Schauspieler, meine Eltern zogen in der DDR durch die Provinztheater“, erzählt er: „Der eigentliche Grund für mich, diesen Beruf ebenfalls zu ergreifen, war die Möglichkeit, dass man sich am Theater mehr als anderswo traute. Zwischen den Zeilen konnte man eine Haltung gegenüber der Diktatur einnehmen.“

(go w.g.)