Nutztierstrategie für NRW Das soll die Revolution im Schweinestall werden
Düsseldorf · Bis 2022 sollen in Bad Sassendorf zwei Modellsysteme gebaut werden, die mehr Tier-, Umwelt- und Klimaschutz in der Schweinehaltung garantieren.
Das Schweineglück soll, so plant es zumindest die Landesregierung, ab Ende 2022 in Bad Sassendorf in Kreis Soest liegen. Dort unterhält die Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen das Versuchs- und Bildungszentrum Haus Düsse. Und auf dessen Gelände werden für insgesamt zwei Millionen Euro zwei Modellställe für jeweils 300 bis 350 Schweine entstehen – Anschauungsobjekte für Schweinezüchter, wie die Branche künftig den gewachsenen Tier-, Umwelt- und Klimaschutzansprüchen gerecht werden kann.
Dabei erhebt das „evolutionäre“ Stallsystem 1 den Anspruch, praxisnah und kurzfristig umsetzbar zu sein. Der Platz pro Tier erweitert sich um knapp 50 Prozent auf 1,47 Quadratmeter und bietet allerlei Verbesserungen derzeitiger Haltesysteme: von Kühlmöglichkeiten im Sommer über offene Tränkestellen bis zur Emissionsreduzierung. Damit würde der Schweinestall den Anforderungen der Stufe 2 des künftigen freiwilligen bundesweiten Tierwohllabels entsprechen.
Wühlgarten und ein Stalldach, das sich öffnen lässt
Als gar „revolutionär“ wird das Stallsystem 2 bezeichnet, das demonstrieren soll, was heute schon alles möglich ist. Dort wird sich der Platz mit zwei Quadratmetern pro Tier gegenüber heute verdoppeln. Das Dach lässt sich öffnen, um die Schweine der Witterung aussetzen zu können. Es gibt einen Wühlgarten und innerhalb des Stalls Auslaufmöglichkeiten, dazu Glasfronten als Zeichen der Verbrauchertransparenz. Das alles entspräche der Stufe 3 des Tierwohllabels. Aufgrund der Investitionskosten rechnet man im NRW-Landwirtschaftsministerium bei diesem System aber nicht damit, dass es in Gänze zur Regel wird. Eher könnten einzelne Module in die Praxis übernommen werden.
Nur noch knapp 7000 Schweinehaltungsbetriebe gibt es derzeit in Nordrhein-Westfalen. Wenn innerhalb der nächsten zehn Jahre 70 Prozent von ihnen, also etwa 4900, den freiwilligen Weg der Umstellung hin zu mehr Tierwohl einschlagen, „dann wäre das ein großer Erfolg“, sagt Staatssekretär Heinrich Bottermann. Schließlich handele es sich bei der im Landeskabinett inzwischen gutgeheißenen neuen Nutztierstrategie um nicht weniger als einen „Paradigmenwechsel“ und um die „Wiederherstellung der gesellschaftlichen Akzeptanz“.
Ein Paradigmenwechsel, der allerdings auch finanziert werden muss. Schweineställe heutiger Ausprägung werden mit etwa 600 Euro pro Mastplatz kalkuliert. Ställe des künftigen Systems 1 würden, so erwarten die Experten der Projektgruppe, wohl um die 950 Euro pro Tier kosten. Und das optimierte System 2 läge noch einmal deutlich darüber. Die bisherigen Förderprogramme reichen jedenfalls nicht aus, um die nötigen 350 Millionen Euro pro Jahr für die Umsetzung abzudecken.
„Der Verbraucher muss die neuen Ställe durch sein Kaufverhalten mittragen“, sagt daher Bottermann. Konkret würde das wohl die Bereitschaft erfordern, 40 Cent mehr für ein Kilo Schweinefleisch zu zahlen. Im Landwirtschaftsministerium geht man aber davon aus, dass die Finanzierungslücke zumindest kurzfristig auch über öffentliche Mittel gedeckt werden muss.
Nutztierstrategie beansprucht bundesweite Vorreiterrolle
NRW will mit seiner Nutztierstrategie eine bundesweite Vorreiterrolle einnehmen. Nirgendwo sonst gebe eine solche Nähe von 18 Millionen Verbrauchern zur Landwirtschaft, sagt Professor Friedhelm Jaeger, Leiter der Projektgruppe Nachhaltige Nutztierhaltung im Ministerium. Dazu kämen „eine europaweit einzigartige Konzentration der Lebensmittelwirtschaft und eine einzigartige Forschungslandschaft“. Auch Staatssekretär Bottermann geht davon aus, dass die Modellställe des bundesweit bekannten Versuchszentrums Haus Düsse „auch Auswirkungen auf andere Bundesländer haben“.
Teil der neuen Strategie ist auch eine Tiergesundheitsdatenbank des Landesamts für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (Lanuv). Dessen Präsident Thomas Delschen stellt klar, dass es sich dabei allerdings nicht um eine neu aufgebaute Datenbank handele, sondern um ein Informationssystem, das schon vorhandene Datenquellen zusammenführe und auswerte. Das betrifft Schlachtbefunde, amtliche Untersuchungsergebnisse, aber auch Eigenkontrollen der Tierhalter. Ziel ist ein Frühwarnsystem, das auf grassierende Krankheiten schneller reagieren kann. Mitte des Jahres sollen erste Prototypen des Systems verfügbar sein.