Zur Nacht geblasen: Hört ihr Leut' und laßt euch sagen...
Rund 110 Türmer und Nachtwächter versammelten sich beim 29. internationalen Zunfttreffen in der Zollfeste Zons.
Dormagen. Hünenhafte Männer in dunklen Gewändern, die oft bärtigen Gesichter unter Schlapphüten verborgen, schreiten durch die Altstadtgassen. In der rechten Hand tragen sie mehr als mannshohe, von Hand geschmiedete Hellebarden, in der linken spendet eine Laterne unstet flackerndes Licht. Vor der Brust hebt und senkt sich im Takt der Schritte das mächtige Horn. Solch Schauspiel bot sich den Zonsern und ihren Gästen in den vergangenen Tagen, doch war es Anlass zur Freude, nicht zur Furcht. Denn die vermeintlich düsteren Gesellen kamen in aller Freundschaft.
Von Donnerstag bis Sonntag empfing Zons als Gastgeber des Europäischen Nachtwächter- und Türmer-Zunfttreffens etwa 110 „Sicherheitsfachkräfte“ aus Deutschland, Dänemark, Österreich, der Schweiz, den Niederlanden und Frankreich.
„Wenn ich all die imposanten Waffen sehe, bin ich überzeugt, dass die Nachtwächter auch heute noch viele Diebe und Verbrecher abschrecken“, sagte Bürgermeister Peter-Olaf Hoffmann, der die Gäste in der Kulturhalle willkommen hieß. Von dort schwärmten sie nach einem kraftvollen Stoß in ihre Hörner aus, um Kostproben ihres Könnens zu geben. Schnell bildeten sich Menschentrauben, die den Stundenliedern, in nahezu allen Gegenden eingeleitet mit „Hört Ihr Leut’ und lasst Euch sagen. . .“ lauschten.
„Heute werden wir freundlich empfangen, das war früher anders. Nachtwächter kamen aus den ärmsten Familien der Stadt, sie rangierten in der Hierarchie ganz unten“, erklärte Zunftmeister Johannes Thier aus Bad Bentheim. Nachtwächter seien „das Fußvolk des Herrn“ gewesen, „die Türmer hingegen waren dem Herrn ein Stück näher.“
In den Zonser Kneipen, beim Umzug und dem Bürgerfest im Schlosspark gaben die Traditionspfleger Einblicke in ihren „Berufsstand“. Derbe Witze gehören etwa bei Werner Euler aus Bad Nauheim zum Programm, wenn er seine Runden durch den Kurort dreht. Die Nachtwächter vom Kaiserstuhl singen bei ihren Rundgängen durch das 900 Seelen-Örtchen Burkheim auf alemannisch, während sich die vier Zonser Nachtwächter Hermann Kienle, Harald Schlimgen, Guido Schenk und Karl-Heinz Stumps auch als Fremdenführer verstehen, die aus der Stadtgeschichte erzählen.
Frank Possehl aus Lübeck trägt die wohl einzige Laterne, deren Fuß Marzipanriegel für die Gäste beherbergt, während Vater Horst, ebenfalls Nachtwächter, sogar einen Waffenberechtigungsschein für seine Hellebarde besitzt und diesen auf einem Flug nach England auch schon vorweisen musste, um das „Gepäckstück“ zu legitimieren.
Die Türmer aus Bad Helmstedt sind jeden Samstag um zwölf mit ihrer Melodie zu hören und nennen sich die Hausmänner, „weil wir eben vom Hausmannsturm blasen“. Sie unterscheiden sich mit ihren hellbraunen Kutten und kniehohen Stiefeln optisch deutlich von den Nachtwächtern, ebenso wie die in rot und gelb gewandeten Türmer aus dem schweizerischen Bischofszell. Beide Berufsstände jedoch dienten der Sicherheit des Ortes und arbeiteten zusammen, wie Hermann Kienle erklärt: „Nur der Türmer hatte oben auf dem Turm eine Uhr, ganz früher eine Sanduhr. Wenn er zur vollen Stunde blies, stimmte auch der Nachtwächter unten in den Straßen sein Stundenlied an.“
Kienle, war es, der vor zehn Jahren das Nachtwächtertum in Zons wiederbelebte. Ihm als Hauptorganisator ist es zu verdanken, dass Zons in diesem Jahr Gastgeber des Zunfttreffens sein durfte. Hermann Kienle, seine Ehefrau Ute, viele freiwillige Helfer bei der Organisation, darunter der Zonser Kochclub, der für die Verköstigung der Gäste sorgte, und ein interessiertes, herzliches Zonser Publikum haben den Gästen vier unvergessliche Tage bereitet.
„Das Treffen passt eher hierher als in manche andere Stadt, in der wir schon waren. Es ist so familiär“, meinte Richard Lhotsky aus Bad Königshofen. Auch die dänische Fraktion um Zeremonienmeister Nils Steenfeld zeigte sich vom Altstadtensemble begeistert. Für Dieter Frank und Rainer Eckel aus Annaberg-Buchholz im Erzgebirge wird vor allem eines in Erinnerung bleiben: „Die Freundlichkeit der Menschen hier.“
Am Sonntag gingen in Zons die Laternen wieder aus. Das 29. Treffen der Europäischen Nachtwächter- und Türmerzunft ging mit einer beeindruckenden Festmesse in St. Martinus zu Ende. Traditionell wird zum Abschluss die Standarte an den Ausrichter der nächsten Zusammenkunft weitergegeben. Am Himmelfahrtswochenende 2015 treffen sich die Sicherheitskräfte im niederländischen Beek.