Ausnahmezustand in Grevenbroich Zwischen Verständnis und dummen Sprüchen
Grevenbroich. · Der Grevenbroicher Einzelhandel sucht Strategien zum Überleben der Coronakrise.
Was Kunden-Sprüche angeht, sind Stationsleiterin Nicole Dolfen und Mitarbeiterin Corinna Schiffer weiß Gott nicht zimperlich. Doch was die beiden Frauen seit Montag über ihre Schutzmaßnahmen gegen das Coronavirus hören müssen, macht sie echt sauer. An die Zapfsäulen der Tankstelle Kolpingstraße haben sie große Zettel geklebt und bitten um Kartenzahlungen – wenn‘s geht. Und an den beiden Kassenplätzen im Verkaufsraum hängt jetzt jeweils eine Plexiglasscheibe in Kopfhöhe zwischen den Kunden und den Mitarbeiterinnen der Tanke; als stabiles Schutzschild gegen infektiöse Tröpfchen.
„Ach, wie bei den Affen im Zoo“, hat deshalb ein Kunde losgepladdert. „Andere haben extra gegen die Scheibe oder in ihre Hände gehustet“, berichtet Corinna Schiffer. Viele Autofahrer meckern: „Alles übertrieben!“ und „Was soll der Quatsch!“ Schiffer hat die Flasche mit dem Desinfektionsmittel in Griffweite. Damit lassen sich Krankheitserreger von den Händen entfernen. Die doofen Sprüche aber gehen den Frauen nicht mehr aus dem Kopf. „Dabei stehen wir jeden Tag vielen Kunden gegenüber; wir haben echt Angst, uns anzustecken“, sagt Nicole Dolfen. Einfach schließen können sie weder ihre Ohren noch den Laden. Die Tankstelle gehört zur kritischen Infrastruktur.
So wie die Löwen-Apotheke von Joachim Neukirch. Dort steht am Dienstagmorgen eine Warteschlange vor der Eingangstür an der Rheydter Straße. Auch wenn das öffentliche Leben möglichst weit zurückgefahren werden soll, brauchen kranke Menschen ihre Medikamente. „Wir lassen jeweils nur vier Kunden gleichzeitig in unseren Verkaufsraum“, erklärt Neukirch. Keine zufällig gewählte Zahl, denn so viele Verkaufsplätze gibt es in der Apotheke. „Und die sind jeweils zwei Meter weit auseinander“, sagt Apotheker Neukirch.
Viele Apothekenkunden desinfizieren sich die Hände
Wer als Kunde an der Reihe ist, wird drinnen höflich gebeten, sich die Hände zu desinfizieren. „Das nutzen viele Kunden“, sagt Apotheken-Mitarbeiterin Stephanie Fennen. Auch gemeckert habe noch niemand. Wenn dann der Leidende hustend und prustend vor ihr steht, ist er viel dichter dran als die empfohlenen zwei Meter Abstand. „Das kann ich nicht ändern“, bedauert der Chef. Bislang seien aber alle aus dem Team gesund geblieben.
Die Sache mit dem Virus und der Gesundheit hat die Geschäftsleute in der Grevenbroicher Innenstadt gespalten. Nicole Schmidt-Chateau und ihr Qui-Team haben die Ladentür der Damenboutique bis auf Weiteres zugesperrt und eine Kundeninformation von innen an die Glastür geklebt. „Ich fühle mich in der Verantwortung, meine Mitarbeiterinnen und mich zu schützen“, schreibt Inhaberin Schmidt-Chateau. Erstmals sei das Geschäft auf unbestimmte Zeit geschlossen. „Alles Gute, bleiben Sie gesund und auf ein baldiges Wiedersehen.“
Wenige Meter weiter läuft der Verkauf noch – bei Schön & Gut wird gerade eine curryfarbene Strickjacke anprobiert. Inhaberin Lene Dunt, zugleich Vorsitzende des Werberings Grevenbroich, sagt: „Ich bin noch in Schockstarre.“ Am Mittwoch wird sie wohl schließen. „Erst war es viel zu kalt und hat dauernd geregnet – jetzt könnte es bei uns losgehen – da kommt uns der Virus dazwischen“, schimpft Dunt. Ihr Warenlager ist voll – ihr Optimismus-Speicher leer: „Ich wollte, wir hätten schon 2021.“ Das milde Frühlingswetter lockt auch am Dienstag zahlreiche Spaziergänger in die Mitte von Grevenbroich. Mimo hat einen guten Tag im Eiscafé neben der Erft. Wie berichtet, hat er die Tische auseinander gerückt und notiert die Namen der Gäste – für alle Fälle. Stammkunden werden mit einem herzhaften Händedruck begrüßt. In den Schaufenstern vermehren sich die Zettel exponentiell. Melissa Moden hat erst einmal für die nächsten sechs Tage geschlossen, der Schuhhandel schräg gegenüber reduziert die Öffnungszeiten.
Mehrere Reisebüros haben große Dreieck-Ständer mitten in ihre Eingangstüren gestellt. „Wir verkaufen derzeit keine Reisen an neue Kunden, aber wollen ansprechbar sein, falls jemand stornieren oder umbuchen möchte“, sagt eine der Beraterinnen. In der Grevenbroicher City versucht jeder auf seine Art, mit dem Virenalarm und den Folgen zurecht zu kommen.