Historien aus Meerbusch Nazi-Bonze unterschlägt Geld
Meerbusch · In den 1930ern wurde in Lank ein Skandal um den straffälligen Ortsgruppenleiter Fritz Kirchhoff vertuscht.
Fritz Kirchhoff war 1931 eines der Gründungsmitglieder der NSDAP in Lank. 1903 geboren war er zu jung für den Kampf im Ersten Weltkrieg gewesen, doch dessen Folgen brachten Kirchhoffs Lebensplan ins Schlingern. Die unruhigen Zeiten degradierten den angehenden Kaufmann schließlich zum Chauffeur seines Vaters, der in Lank-Latum eine Ziegelei betrieb. Sein Ehrgeiz musste also andere Ziele finden, und so versuchte er, Karriere in der NSDAP zu machen. Aber auch die Handvoll Nazis der ersten Stunde in Lank wählten einen anderen zum Anführer.
Mit der sogenannten Machtergreifung am 30. Januar 1933 erhoffte sich Kirchhoff nun auch seinen eigenen Aufstieg. Als „Alter Kämpfer“ – das waren die vor 1933 eingetretenen Mitglieder der nationalsozialistischen Partei – stand ihm der bevorzugte Weg in die öffentliche Verwaltung zu. Zuvor gelang Kirchhoff aber auch der Sprung in den Gemeinde- und Amtsrat. Der damalige Amtsbürgermeister Eugen Connemann, der letztlich vergeblich vom Zentrum zur NSDAP übergetreten war, um seine eigene Stellung zu behalten, stellte Kirchhoff im November wohl als Zeichen guten Willens auch ein – in der wenig beeindruckenden Position als Schreibhilfe im Bürgermeisteramt und dann noch mit wöchentlicher Befristung.
Beides reichte dem ehrgeizigen Kirchhoff nicht, der immer wieder bessere Posten forderte. Unter Connemanns Nachfolger Gustav van Beek wurde der Hilfsarbeiter dann in ein dauerhaftes Angestelltenverhältnis berufen. Als 1935 auch noch der Posten des Ortsgruppenleiters durch einen Skandal, den Kirchhoff möglicherweise selbst herbeigeführt haben könnte, frei wurde, griff er auch hier beherzt zu.
Das alles war aber nicht genug – und so taumelte der Parteibonze in seinen ganz eigenen Skandal hinein. Mittlerweile Vollziehungsbeamter der Amtssparkasse zog Kirchhoff auch kommunale Steuern ein. Zugleich forderte er mit Verweis auf sein Amt als Ortsgruppenleiter und seine kranke Frau mehrfach Beihilfen und Vorschüsse ein. Als diese ausblieben, begann er eingezogene Steuern zu unterschlagen und auch falsche Quittungen auszustellen. Dies fiel dem gewissenhaften Amtsrentmeister Zimmermann auf.
Kirchhoff versuchte Verstoß mit Arbeitsüberlastung zu erklären
Kirchhoff gab den Verstoß zwar unumwunden zu, nachdem er damit konfrontiert worden war, versuchte aber, sich mit einer Panne und Arbeitsüberlastung als Ortsgruppenführer herauszureden. Gleichzeitig tauchten aber immer mehr fragwürdige Fälle auf – und die Betroffenen zeigten ihren Unmut. Die Vorwürfe gegen Kirchhoff wurden hinter vorgehaltener Hand im Ort diskutiert und immer lauter.
Nun bemühte sich Kirchhoff um Schadenbegrenzung, beschwichtigte die einen, versprach anderen die Korrektur, überredete zuletzt sogar Parteigenossen, ihn zu decken und trat die Flucht nach vorne an. Im Mai 1939 gestand er dem Leiter des Gemeideprüfungsamtes seine Verfehlungen, versicherte ihm aber, alles korrigiert zu haben und, da sich die vielfältigen Aufgaben des Ortsgruppenleiters mit dem aufwändigen Amt des Vollzugsbeamten offenbar nicht vereinbaren ließen, letzteres aufgeben zu wollen.
Selbst der Landrat wollte Kirchhoff nun aber – mit Rücksicht auf dessen Stellung in der Partei möglichst geräuschlos – loswerden. Nachdem also der Skandal abgewendet war, ließ Kirchhoff sich mit dem „freiwilligen Ausscheiden“ über Gebühr Zeit. Erst zum 20. August 1939 hatte er eine angemessen scheinende Stelle bei der Rheinischen Kunstseide AG gefunden.
Auch danach tauchten noch neue Vorwürfe auf, die Kirchhoff aber nicht mehr beeindruckten. So reklamierte die Gastwirtin Maria Bongartz, ihrer Mutter, der Witwe Kessels, seien angeblich zehn Reichsmark gezahlt und die Unterschrift „Frau Kessels“ gefälscht worden. Am Ende erklärte ihr Mann, ebenfalls Parteigenosse, er habe quittiert. Weil er außerdem Kirchhoff noch denselben Betrag wegen Auslagen in einer „Judenangelegenheit“ geschuldet habe, hätte der Bösinghovener das Geld dem Ortsgruppenleiter überlassen. Als die eigene Ehefrau insistierte, in der Familie wisse niemand davon, deklarierte Bongartz die zehn Reichsmark als Geschenk.
Kirchhoff erhielt 1945
sogar noch einen Persilschein
Trotz des zumindest öffentlich vertuschten Skandals blieb Kirchhoff Ortsgruppenleiter, bis er 1942 zur Wehrmacht eingezogen wurde. Anschließend lebte er in Niedersachsen. 1945 erteilte ihm der noch bis 1952 im Amt befindliche Bürgermeister beziehungsweise Amtsdirektor Gustav van Beek wider besseres Wissen einen einwandfreien Persilschein, der attestierte, dass „gegen K. keinerlei Anzeigen oder Beschwerden vorgebracht“ wurden, er wenig Einfluss auf die Bevölkerung gehabt habe und auf „sogenannte Scharfmacher in der Partei … mäßigend gewirkt“ habe.