Caroll Vanwelden singt Shakespeares Gedanken
Pianistin arrangiert ausgewählte Sonette und verzaubert auch mit ihrer ausdrucksstarken Stimme.
Neuss. Die Liebe ist so stark, dass sie alles zerstört. Um glücklich zu sein, braucht man keine Titel, sondern Liebe. Und welche Zaubermacht hat eine Frau, an der man alles liebt, was andere an ihr hassen? Rund 400 Jahre später wirken Shakespeares Gedanken etwas aus der Zeit gefallen. Caroll Vanwelden holt sie zurück. Beim Shakespeare-Festival im Globe stellte die Belgierin unter dem Titel „Shakespeare in Jazz“ ihr zweites Album vor, auf dem sie ausgewählte Sonette vertont — mal melancholisch flüsternd, mal leidenschaftlich laut und immer sorgfältig arrangiert auf der Höhe der Zeit.
Shakespeare veröffentlicht 1609 einen Gedichtband mit 154 Sonetten. Die ersten 126 Gedichte richtet der Poet aus Stratford-upon-Avon provokant an einen „Fair Boy“, die restlichen mit pornografischen Anspielungen an eine „Dark Lady“.
Die Pianistin Vanwelden interpretiert die Texte musikalisch und macht sie zu ihren eigenen. Die begleitenden Musiker unterstützen auch die Stimmung der Texte. Mit Trompeter Thomas Siffling, Kontrabassist Mini Schulz, Schlagzeuger Rodrigo Villalon und Gitarrist Jo Ambros entstehen lässige Jazzstücke mit Reggae-Passagen, mitreißende und packende Samba-Rhythmen und langsame, emotionale Balladen.
In Sonett 124 unterstreicht ein dunkles, aufrüttelndes Kontrabass-Solo die zerstörerische Macht der Zeit. Mit einigen glockenhell gesungenen Textzeilen bewahrt Vanwelden die vergängliche Schönheit einer sich im Winde wiegenden Blume oder des sommerlichen Honigdufts.
Zu einer persönlichen Liebeserklärung an ihr Instrument macht die 43-Jährige Sonett 128. Shakespeare beschreibt darin seine Eifersucht, wenn seine Geliebte gefühlvoll über die Tasten ihres Klaviers streicht. Ebenso gefühlvoll singt die Pianistin an ihrem Flügel.
Wenn die Musiker sich mit virtuosen Solos abwechseln, kann Vanwelden in deren Mitte manchmal nur verträumt lächelnd zuhören und mitwippen — bis sie die Zügel wieder in die Hand nimmt und aus vollem Herzen die letzten Textpassagen schmettert. Wer die Sonette nicht kennt, könnte fast meinen, sie hätte sie selbst geschrieben.